Robert Musil formuliert diesen Sachverhalt:
„Alles Beständige büßt seine Eindruckskraft ein. Alles, was die Wände unseres Lebens bildet, sozusagen die Kulisse unseres Bewußtseins, verliert die Fähigkeit, in diesem Bewußtsein eine Rolle zu spielen. Ein lästiges Geräusch hören wir nach einigen Stunden nicht mehr. Bilder, die wir an die Wand hängen, werden binnen wenigen Tagen von der Wand aufgesogen; es kommt äußerst selten vor, daß man sich vor sie hinstellt und sie betrachtet.“
noch seltener, dass man sich vor sein nicht in erscheinung tretendes bewusstsein stellt, ihm die frage stellt, was kann ich heute für dich tun? Continue reading
Category Archives: LITERATUR
INGEBORG BACHMANN II…
männersprache – verletzende
‚ich denke an die siebenundvierzigjährige (ingeborg bachmann) wie an ein mädchen,’ sagte heinrich böll in seinem nachruf und meinte es wohl anders als ich es verstehe. ingeborg bachmann war eine f r a u – , kein ‚mädchen’ und kein ‚fräuleinwunder’, wie sie an anderer stelle bezeichnet wurde.
und böll war sich keiner schuld bewusst, denn an anderer stelle fragte er, ‚war i.b. nicht gefangen in dem bild, das andere sich und andere aus ihr gemacht haben?’ ist das etwa kein ‚bild’, das er sich von ihr machte, ‚mädchen’, wo es nicht im geringsten ihrer person als frau entspricht. Continue reading
25.06.06 – INGEBORG BACHMANN – 80. GEBURTSTAG
ERKLÄR MIR, LIEBE…
während meines studiums ‚ästhetische kommunikation’ beschäftigte ich mich mit lyrik.unter den von uns zu rezitierenden gedichten befand sich das gedicht ingeborg bachmanns: ERKLÄR MIR LIEBE… so las ich es und ich meine noch in der erinnerung, dass es nicht hiess: ERKLÄR MIR, LIEBE…
es löste grösste verwirrung bei mir aus. wer sollte da wem was erklären???
Ich begriff lange nicht, dass die liebe die sein sollte, die erklärte.
da kommt leichtfüssig einer, der seinen hut schwenkt, zwischen himmel und erde dahinwandert, sorglos, heiter und von keinen gedanken gequält.
die kreatur hat in jeder gestalt teil an der liebe.
da fragt sie, die dichterin, ‚und ich, muss einer denken, wird er nicht vermisst’? Continue reading
AUF ROBERT WALSERS SPUREN…
zwei tage nach seinem geburtstag – er wäre 128 jahre – zieht es mich hinaus. es ist das hineinspüren, was einer empfindet bei seinen langen wanderungen, von denen er nicht ablässt, nicht ablassen kann, über all die jahre. das ganze jahr über fühlt er sich verpflichtet der natur, die ihn hält, die ihn lieben lässt, leben lässt, in die er sich einfügt ein leben lang, die ihm anstoss ist zu seinen texten, er ‚entfernt’ sich von seinen mitinsassen tagtäglich in der mittagszeit, an sonn- und feiertagen, an denen er nicht arbeiten muss, um danach zu ihnen zurückzukehren – eine pflicht, die er nicht verletzen will. Continue reading
ROBERT-WALSER-SOMMER
der dritte robert-walser-sommer ist eröffnet…
am 15. april (robert walsers geburtstag) wurde im cinétreff in herisau der film
DER VORMUND UND SEIN DICHTER von percy adlon (frei nach carl seeligs ‚wanderungen mit robert walser’) gezeigt.
die filmmatinée war – ungeachtet des ostersamstags – ausverkauft bis auf den letzten platz. ich war erstaunt und überrascht gleichermassen über so viel interesse. zum teil hatte ich den film, der 2003 bei sat 3 zu sehen war, schon gesehen. die originalschauplätze, an dem der film 1978 auf 16 mm agfa negativfilm aufgenommen wurde, kenne ich zum grossen teil. ich werde sie mir mit wanderungen durch das jahr wieder in erinnerung rufen, vor allem die sommerliche landschaft. (der film wurde, aus kostenersparnis, ausschliesslich im winter gemacht.) robert walser und carl seelig waren ja nicht nur, wie im film, im winter unterwegs. Continue reading
D E R K Ü N S T L E R . . .
‚ja, sein lebenswandel ist wie ein traum, und seine erscheinung ist wie ein rätsel.’ (robert walser)
ein rätsel bleibt uns jeder mensch – aber robert walsers rätsel ist unauflösbar.
man ordnet sein werk ein, von bodenlos erfolglos bis literarisch und sprachlich bedeutsam. seine art zu schreiben bezeichnet man als skurril, faszinierend, modern und noch mehr. man erklärt ihn und sein leben, als könne man auf den grund sehen und verliert sich in vermutungen, zuschreibungen, mal sachlich, mal leichtsinnig, mal unverschämt – aber immer irgendwie augenfällig daneben.
als könnte man einen menschen wie robert walser in einen rahmen zwingen, wo es sein höchstes ziel war frei zu sein, im räumlichen, wie im denken. einer, der in den ‚abgründen der mutlosigkeit’ das ‚beste’ gewinnt – ‚sich selbst’. dem würde man auch heute noch misstrauen. Continue reading
ROBERT WALSER
als mir vor vielen jahren ein text von robert walser in die hände fiel, der mich tief beeindruckte , hatte ich von ihm noch nie gehört.
‚GRÜN’ – er schildert darin ein totales überwältigtsein und wie das grün alles überwuchert.
ich habe mit dem grün meine eigenen erfahrungen, die dem sehr nahe kommen, und war deshalb so angerührt. ich fotografierte das ausbrechende grün im park und band die fotos mit dem grün-text in ein bändchen. es bedeutete mir etwas. ( text siehe anhang)
seit einigen jahren lebe ich in der schweiz. es war ein verschneiter wintertag, der 25. dezember. dass das datum von bedeutung war, erfuhr ich erst später. ich stampfte durch den schnee und fand ihn auch, den robert-walser-weg. Continue reading
HILDE DOMIN 27.07.1909 – 23.02.2006
alle spiegel so klar…
rosadora g. trümper tuschick
da ist es gerissen ‚das goldene seil’ – ‚da wird schon der name gerufen’ – ‚hinweg aus der….welt, …unter die alles vermengende erde.’
‚ich komme wieder’, hatte sie noch gesagt, ‚wenn ich hundert bin’. die worte sind noch in meinem ohr, ich habe mir nicht träumen lassen, dass sie das nicht wahr machen würde, diese kleine resolute person mit den grossen worten. da war sie neunzig. kraftvoll formte sie silbe für silbe, ihr sprechen hatte einen harten ton.
der ‚böse löffel’ des ‚vergessens’ fiel nun – fast unerwartet – in die ‚schale aus schatten’. unerwartet, weil fast ein hauch ewigkeit mit der person hilde domin verbunden ist. sie war schon zu lebzeiten eine legende. da will man nicht wahrhaben, dass sie eines tage nur noch legende sein wird.
‚…die pause ist vorbei.’
‚stehenbleiben und sich umdrehen hilft nicht. Continue reading
feuer, feuer… oder roger willemsen
kaum ist er im saal, da steht er auch schon in flammen. aus erwartungsvollen gesichtern werden verschmitzt lächelnde und bittende, erkenn mich doch wieder. er reicht ihnen die hände, nicht hand – hände, ach, sie sind auch wieder da und schön, dass sie gekommen sind. bei mir die frage, was kann er sich noch alles einprägen. stolpernd beginnt er schon ehe er seinen stuhl auf dem pödchen erreicht, bringt sich ein, vom ersten moment an und das gekonnt.
er erzählt reisserisch. es ist kein erzählen, es ist ein begeistertes zueinanderbiegen von literatur, die sonst nie zueinander finden würde. casanova kommt bei ihm gut weg, Continue reading