GESCHICHTEN DIE DAS LEBEN SCHREIBT…

MALWIDA VON MEYSENBUG
oder
GESCHICHTEN DIE DAS LEBEN SCHREIBT…

sie tauchen auf – unerwartet – aus dem vollen leben heraus
die geschichte geht so

heute früh erhielt ich ein kleines paket
es war gut gepolstert und fühlte sich weich an
der inhalt war in eine dicke hülle von zeitungspapier eingewickelt
und verklebt
ich erwartete den inhalt
2 antiquarische bücher von
MALWIDA VON MEYSENBUG
MEMOIREN EINER IDEALISTIN
1. Band
2. Band

erscheinungsjahr geschätzt 1949

ich habe die bücher in einem antiquariat bestellt, obwohl ich den ersten band bereits besitze, aufgrund der äusseren sehr ansprechenden aufmachung, chamoire mit weinrotem lederrücken und goldprägung und wie neu. bücher, dessen äussere aufmachung mich lockt und deren inhalt mich brennend interessiert – keine chance zu widerstehn.

also, es ist für mich ein kostbarer paketinhalt und als ob die versenderin das ahnte, hat sie es wie ein wertvolles eingeschnürt. mein lob wird sie dafür erhalten.

die gute verklebung, die auch noch das äussere des dickgepolsterten briefumschlags verziert, ist mühsam zu entfernen. die schichten des zeitungspapiers untersuche ich auf interessante artikel.
dann die bücher – eines nach dem anderen ziehe ich heraus, jedes für sich auch noch einmal dick verpackt und verklebt.
sie sind in einem tadellosen zustand und ich bin begeistert.

soweit ist alles, wie ich es hätte erwarten können.
vorsichtig schlage ich den 1. band auf und finde die widmung

„Möchten die Memoiren einer Idealistin meiner lieben Mutti Grone viele Stunden tiefen und nachhaltigen Erlebens bereiten.
Das ist mein Weihnachtswunsch
1949
Ihre Elvira“

und nun bekomme ich diesen weihnachtswunsch und die bücher 63 jahre später zugeschickt,
so als wären sie für mich eigens erkoren. ich benutze diesen alten ausdruck mit bedacht.

da wusste eine frau so kurz nach dem krieg, wer MALWIDA VON MEYSENBUG war. das erstaunt mich. war sie zu der zeit noch mehr im bewusstsein der frauen als heute. diese elvira musste es genau gewusst haben, das buch oder die bücher kennen, sonst hätte sie nicht „Stunden tiefen und nachhaltigen Erlebens“ wünschen können.

mein erleben steigert sich noch.
auf der nächsten seite des ersten bandes liegt fein ordentlich und säuberlich ein briefumschlag mit der anschrift

Frau Hede Grode
(24) Ahrensburg bei Hamburg
Parkallee 15

die absenderin

Elvira Rackow
196 Quedlinburg
Queringer Str. 8

der briefumschlag ist geöffnet. ich entnehme ihm ganz vorsichtig eine briefkarte und weiss nicht, wie ich mich fühlen soll, so als ob ich in etwas eingeweiht werde, oder wie eine schnüfflerin, die das ganze garnichts angeht.

ich beginne zu lesen, was sich sehr schwierig gestaltet. die deutsche schrift (sütterlin) habe ich nur kurz als kind in der grundschule erlernt und inzwischen wieder fast vergessen. so viel kann ich erraten, dass es um eine sehr persönliche sache ging.

auch muss ich erst noch begreifen, was mir da so besonders erscheint. erschienen ist es mir, wie eine weihnachtsmär besonderer art. die intimität eines briefes nach 62 jahren von zwei mir unbekannten frauen – das lesen rückt sie mir näher, fast nah, als hätte ich sie gekannt. eine handschrift ist heutzutage schon etwas sehr intimes und zumal so akkurat (auch den ausdruck verwendet man heute nicht mehr oder selten).
so überrascht, fotografiere ich den vorgang erst einmal, was u. a. heisst, dass ich die karte im mac nun vergrössern und besser entziffern kann.
es geht um eine wichtige sache, in die ich da eingeweiht werde. ich nehme sie, als hätte sie sich heute zugetragen.

Quedlinburg 3.2.1950.

Elvira Rackow

Meine herzliebe, gute Mutti!
Seien Sie innigst bedankt für Ihren entzük-
kenden herzlichen, ausführlichen Brief vom 30.1.
der mich nicht nur erfreut, sondern sehr beglückt
hat. Er trug den Poststempel vom 31.1.50 – 14 uhr
und landete bereits am 2. Februar bei mir. Die
Post hatte es abermals sehr eilig, mir Ihre so lieben
Nachrichten zu übermitteln. Am gleichen Tage
ging auch ein kurzer Gruß von mir an Sie
ab. Mutti, sie sind ein furchtbar lieber
Kerl, das habe ich mal wieder so tiefinnerlich
bei mir festgestellt – Ich muss sagen, dass ich
mich von ganzem Herzen für sie gefreut
habe, dass sie unseren Jungen doch noch einige
Stunden so restlos bei sich haben konnten, um
für ihn zu sorgen. Nach all dem Kummer,
den … der abgelaufenen Wochen mit
ihm hatten, war es eine kleine Entschädigung,
die Sie mehr als verdient haben. Hoffentlich waren
es dann wirklich ungetrübt schöne Stunden.

Den Vorschlag, den ich Ihnen bezüglich unseres Jungen
machen wollte, besteht darin, dass ich es für ….
möglich halte, dass wir beide den gesamten Briefwech-
sel, den wir in der bewussten Sache
miteinander führten, vernichten wollen,
sofern es nicht schon geschehen ist. Zu leicht kommt
ein falsches Schreiben … in falsche Hände, und
dann ist das Theater da. Wie wäre es, wenn wir
ihm in unsere geschäftlichen Mitteilungen
einen anderen Namen zulegen würden. Er wird
doch wahrscheinlich in Zukunft häufiger ihr Gast sein,
wenn er beruflich kommt, und da könnte ein
Zufall ihm mal ein Brief in ein …..
das muss vermieden werden, da es von …
fast unmöglich ist. bitte, Muttilein. Nehmen
sie gelegentlich Stellung zu dieser Frage.
dieses ist auch ein …kärtchen, aber im
liebsten Sinne. Es sollte ihnen nur schnell
sagen, wie sehr ich mich gefreut habe über Ihre
herzlichen Zeilen. Eine ausführliche Antwort
kommt in 8 bis 10 Tagen. Vorher werde ich kaum
zu einem ausführlichen Briefe kommen. Dann
gehe ich…
… – Mutti, ich muss Sie … umarmen,
weil es mich einfach dazu drängt.
Ihre Elvira

und nun sitze ich da mit meinen überraschungen und kann erstmal überhaupt nicht zu den aufzeichnungen von malwida von meysenbug umschwenken.

sogar die briefmarken ziehen mich in bann und bringen mich zum nachdenken.
halberstadt – wo um himmelswillen liegt halberstadt und wo quedlinburg. wer war dieser ernst thälmann. na gut, ich werde alles im internet nachschauen.
und 24 – was bitte – pfennige wohl.
heute kostet das buchpaket 410 – auch was bitte – cent, oder 4 euro 10. was für ein sprung, was für eine geschichte liegt zwischen diesen beiden zahlen, zwischen diesen jahren.

und wer MALWIDA VON MEYSENBUG war, bleibt auch zu klären.
soviel – sie ist 1816 in kassel geboren und eine sehr resolute, intelligente frauenrechtlerin, künstlerin, schriftstellerin u. u. u….
ein andermal mehr.


MALWIDA VON MEYSSENBUG

12.12.12…..

12.12.12 12.12.12 12.12.12 12.12.12
12.12.12 12.12.12 12.12.12 12.12.12
12.12.12 12.12.12 12.12.12 12.12.12
12.12.12 12.12.12 12.12.12 12.12.12
12.12.12 12.12.12 12.12.12 12.12.12
12.12.12 12.12.12 12.12.12 12.12.12
12.12.12 12.12.12 12.12.12 12.12.12
12.12.12 12.12.12 12.12.12 12.12.12
12.12.12 12.12.12 12.12.12 12.12.12
12.12.12 12.12.12 12.12.12 12.12.12
12.12.12 12.12.12 12.12.12 12.12.12
12.12.12 12.12.12 12.12.12 12.12.12

grösser gehts nicht
bunter gehts nicht
und eingerückt ists auch nicht

ätsch und so doch…

LICHTE MOMENTE…

LICHTE MOMENTE
nachlese in pierre huyghes „untilled“ dOCUMENTA 13

WAS ABER BLEIBT…
wissen die götter

ich will es wissen und schaue nach schaue immer wieder nach damit ich nichts versäume
die sich so prächtig als pflanzen entwickelten liegen nun am boden
sind im begriff sich aufzulösen werden zu erde zu fruchtbarer erde die die samen aufnimmt und wieder neu wachsen lässt

im moment ist herbst und das zurerdewerden schreitet voran in schnellen schritten
ich kann nicht von einem schleichenden prozess berichten der verlauf ist vorgegeben und nicht aufzuhalten

der sommer war glanzvoll und duftend der herbst fallsüchtig und vergehend aber immer noch duftend
der winter wird einen ruhigeren verlauf nehmen er wird mir geduld abverlangen weil ich auf das wiedererwachen der natur warten will
aber eigentlich schläft sie ja nicht nur der verlauf ist für uns fast unsichtbar
eigentlich ist schon alles in vorbereitung und hilde domin benennt es so „es knospt unter den blättern – das nennen sie herbst“ ein schönes bild und ein trostspendendes man muss nur schauen und riechen und hören und alles ist da
das vergehen erzählt vom sterben das es nicht gibt alles ist in verwandlung wieder und immer wieder
das vergehende bereitet schöne bilder man muss es nur anschauen ohne scheu und mit auge und verstehen mitvollziehen

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Paperback, 60 Seiten
€ 14 90 *inkl. MwSt.

LICHTE BLICKE…

LICHTE BLICKE
in pierre huyghes „untilled“ documenta 13

BESEELTE ORTE
MAGIE DER PFLANZEN

immer bin ich es selbst die einen bezug zu einem bestimmten ort herstellt so auch zu diesem kompostloch
mit den pflanzen begann mein interesse zu wachsen an erster stelle waren da die brennnesseln
sie besitzen eine enorme wuchskraft und haben überall ihre stengelchen im spiel
anfangs habe ich mich an ihnen verbrannt das zeigte mir wie unvorsichtig ich mit ihnen umging
später als sie mir über den kopf wuchsen habe ich das nicht mehr zugelassen
es entstand ein verständnis füreinander

das indische springkraut gab dann den sommer über den ton an
es umflog mich mit seinem duft den nahm ich in meinen kleidern mit nachhause
es bestach mich mit wunderschönen blüten und seiner grösse
es wuchs mir buchstäblich über den kopf wie die brennnesseln
ich entdeckte viele heil- und gift- und andere pflanzenarten und alle bekamen meine aufmerksamkeit
ich erkundete ihre wirkweisen
ich erlebte die wachstumshöhepunkte wie das springkraut keck seine samen in die welt schleuderte und ich sah seinen zusammenbruch – zusammenbruch deshalb weil manchmal ganzen gruppen den hang hinunterkippten
die hohlen stengel gaben geräusche von sich schmerzensgesänge
es tat mir in der seele weh aber das muss es ja nicht

nicht sagen kann ich wann ich diese enge beziehung zu diesem ort zu den pflanzen den hunden den bienen zu den anderen tieren und den menschen entwickelt habe
es war ein schleichender prozess aber so heftig dass ich in abständen noch immer nachschaue wie das vergehen seinen lauf nimmt was ich erkennen kann und was es mit mir macht was es mit mir zu tun hat mit meinem vergehen verwandlung in allem
ich werde mich wohl erst wieder im frühjahr trennen können wenn ich sicher gehe dass alles wieder beginnt

meine fotos entstanden während vieler besuche
sie zeigen die schönheit des kommenden und des vergehenden in eindrücklicher weise
in allem fand ich mich selbst

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…UND ICH SELBER MITTENDRIN…

ENDLOS – UNAUFHÖRLICH – documentanachlese

irgendwie bin ich hineingeraten in diese brennnesselwucht,
in dieses springkrautohnemacht. es ist nicht miteinander zu vergleichen und doch geht alles den weg des vergehens. die zeitliche abfolge ist nur verschieden und die art und weise. alles gleicht sich und ist doch so verschieden.

mein kompostloch kommt mir nun abhanden. die veränderungen von menschenhand haben begonnen. die platten sind weg, der steinberg und auch der kieshaufen. der regen der letzten tage hat dazu verholfen, an der stelle ein schlammloch zu hinterlassen. da bin ich hineingeraten bis an die knöchel.

nichts hielt mich davon ab, den weg durch die brennnesselwüste zu nehmen. es war mühsam, aber es gab mir auch das gefühl, mitten darin zu sein. die frage ist nur, wie komme ich da wieder raus.
brennnesseleinsicht in doppelter hinsicht – sie warten die jahreszeiten nicht ab. mit ihren rhizomen sind sie immer bereit neu auszutreiben. und hier auf der komposterde fällt ihnen das gar nicht schwer.

zwischen langen und grossen und neuen frischgrünen nesseln fühle ich mich gestärkt. nach einer gewissen zeit weiss ich aber auch, dass ich nicht ihresgleichen bin, nicht dazu gehöre. ich entferne mich wieder und es ist immer wie abschiednehmen. ich kann es kaum aushalten. mit meinen erinnerungsbildern tröste ich mich darüber hinweg und hoffe, dass die gärtner nicht alles niederwalzen werden.

URBANE GARTENZWERGE IN XXL…

die
NEUE ZÜRCHER ZEITUNG
schreibt am 1. november 2012:

Urbane Gartenzwerge in XXL
China organisiert in Kassel seine eigene «documenta»

Kunst und Architektur


foto
rosadora

Was nur gibt es da zu sehen, dass sich so viel Akrobatik lohnt? Eine Plastik von Mou Baiyan auf einer Leiter vor der Neuen Galerie.
Kurz nach dem Ende der 13. documenta bespielen neunzehn überwiegend etablierte Künstler aus dem Umfeld der Zentralen Pekinger Akademie der Künste den innerstädtischen Raum von Kassel.



Christian Saehrendt
Mit Ausstellungen, Symposien, Programmen des Kulturaustausches bemühen sich westliche Staaten, das Modell «moderne Kunst» in andere Weltregionen zu exportieren, auf diese Weise dort den eigenen Einfluss zu vergrössern. Doch mittlerweile wird der Westen selbst zum Ziel einer auswärtigen Kulturpolitik, mit der die aufstrebende Macht China ihre demokratischen Defizite und ihren ökonomischen Imperialismus zu kaschieren versucht. Zum Vierzig-Jahre-Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen finden derzeit 500 chinesische Kulturveranstaltungen in ganz Deutschland statt. Geschickt nutzt die Volksrepublik dabei den Nachhall der erfolgreichen «documenta 13», um in Kassel eine umfangreiche Schau von Installationen und Grossplastiken im öffentlichen Raum zu initiieren, die den vieldeutigen Namen trägt: «Alles unter dem Himmel gehört allen».

Kassel und chinesische Kunst – da werden viele Kunstfreunde an Ai Weiwei denken, den Star der «documenta 12», der nicht nur Hunderte von antiken Möbelstücken und alten Bauteilen aus China nach Kassel importierte, sondern auch 1001 seiner Landsleute, auf dass sie sich durch die exotische Atmosphäre Nordhessens inspirieren lassen könnten. Diesmal ist Ai nicht dabei. Stattdessen bespielen neunzehn überwiegend etablierte Künstler aus dem Umfeld der Zentralen Pekinger Akademie der Künste den innerstädtischen Raum quasi im direkten Anschluss an die «documenta». Treppenwitz der Geschichte: Für die «documenta» zeichnete die Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev verantwortlich, für die sich rasch das Kürzel «CCB» einbürgerte. Nun ist die zweitgrösste Bank Chinas in Kassel engagiert, der Etat der Schau wird von der staatlichen China Construction Bank gestemmt, kurz: CCB.

Erinnern wir uns: Vor Beginn der «documenta» schimpfte der Bildhauer Gregor Schneider, dessen Ausstellung in der Kasseler Karlskirche durch eine Intervention von Christov-Bakargiev verhindert worden war, die «documenta» sei so autoritär, sie solle besser gleich «in einer chinesischen Kleinstadt» stattfinden. Nun ist es so weit: Kassel selbst hat sich in eine chinesische Kleinstadt verwandelt. Doch ungeachtet der etwas merkwürdigen, allzu diskreten Anbahnung dieses kulturpolitischen Projekts stellt sich die Frage nach der künstlerischen Qualität der Arbeiten. Die Schau bietet einen gefälligen Mix aus glänzenden Oberflächen, Materialspielereien und optischen Verblüffungseffekten. Der fette, nackte Mann auf der Leiter, der ins Museum hineinspäht, die patriotische Terminatorfigur «Guang Gong», hergestellt aus LKW-Teilen, die bereit scheint, die City leerzufegen, die buntschillernden, Jeff-Koons-artigen Edelstahllöwen und Ameisenplastiken in der Fussgängerzone – all dies sind Elemente eines niederschwelligen Kulturangebotes, es ist Kunst, die auf den Beifall beiläufiger Passanten aus ist, grellbunte Stadtmöblierung, legitimiert durch trendige Themen wie Umweltschutz, Gartenkunst, Arbeitsmigration oder erneuerbare Energien – alles Dinge, von denen man glaubt, dass sie beim deutschen Publikum gut ankommen. Summa summarum wirken die Plastiken wie bunte Gartenzwerge in XXL, und man beginnt bei ihrem Anblick die Schrotthaufen und Unkrautbeete der vergangenen «documenta» bereits schmerzlich zu vermissen.

Zudem konnten politische Missklänge nicht vermieden werden. Kassels Oberbürgermeister von der SPD brüskierte den anwesenden chinesischen Botschafter, indem er demonstrativ einem Aktivisten die Hand schüttelte, der Protestplakate gegen die Schikanierung Ais trug. Kritische Flugblätter kursierten, auch liess die Standsicherheit der Kunstwerke zu wünschen übrig. Bleibt am Ende die Frage, ob die Volksrepublik mit dieser Ausstellung ihr Image verbessern konnte. Die Kasseler Schau könnte sich in dieser Hinsicht als Nullsummenspiel erweisen.

an rosmarie in der schweiz

erstaunt
einen so objektiven artikel in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG
zu finden
fast hält er mich ab
der chinakunst weiter nachzugehen

ich frage mich auch
ist das kunst
besonders die metallig glänzenden löwen und ameisen
und anderes getier

mir kam die idee dazu
die chinesen holen die kunst im februar nicht wieder ab
und müllen uns schnell viel zu schnell mit weiteren dingen zu
tun sie ja jetzt schon…………

UNBEIRRT HIMMELBLAU…


kompostloch gestern, 25. oktober 2012

warum mutet uns der anblick von vergehendem so traurig und trostlos an. näher betrachtet ist alles sehr lebendig, weil in verwandlung begriffen, und farbig obendrein. die farbskala verändert sich, nichts ist mehr überwiegend bunt. das sanfte überwiegt und leuchtet doch auf durch eine intensität des morbiden.
morbide wird übersetzt mit „brüchig, im Verfall begriffen, krank, marode, morsch, von Zerfall gekennzeichnet“ und ist doch auch weit mehr. das morbide wagt sich in unseren gefühlsbereich. es lässt uns aufmerksamer werden, rührt an unsere seele, die das laute und bunte eher abstösst.
ich mag diese morbiden klänge, sage klänge, weil da wirklich ein singen und klingen enthalten ist in dem morbiden.
mich einhüllen in diese farben, in diesen klang – das ist vielleicht eine altersfrage. überhaupt hat wahrnehmung mit alter zu tun. immer mehr, immer besser lerne ich sehen und begreifen, immer mehr verstehe ich die zusammenhänge von den dingen und der welt. und dazwischen wir, die menschen.

den kreislauf im kompostloch habe ich von anfang an, also vom beginn der documenta und pierre huyghes kunstwerk verfolgt und in bildern eingefangen. im april schliesst sich dann der kreislauf und bis dahin werde ich immer wieder vorbeischaun und mir ein bild machen.

es gibt da dinge, die mich beeindrucken. die starke brennnessel z. b., wenn alles sich dem ende nähert, wagt sie einen neuanfang. ihr sattes grün fällt besonders auf zwischen den beige- und brauntönen. ich werde beobachten, was sie unter der schneedecke sich einfallen lässt. mit ihren rhizomen ist sie ja so gut wie nicht ausrottbar. sie lassen sie immer neu austreiben.
im kompostloch halten sie die hoffnung wach, dass alles wieder neu beginnt.

boretsch ist fast unirritierbar, hält sich in seiner form und blüht unbeirrt und himmelblau. ausserdem bringt er jetzt im spätherbst neue pflänzchen hervor. auf dem kompost gedeihen sie prächtig.

die vielen, vielen samen des springkrautes halten es etwas vorsichtiger. nichts verrät, wo sie sich verbergen in dieser jahreszeit. umso intensiver werden sie sich hervor wagen, wenn es zeit für sie ist.
im moment verzaubern mich die vielen verwandlungskünste der niedergestreckten stengel. sie zeigen mir bruchstellen, verbindungen und das geschehenlassen in grossem urvertrauen. keine form widerstrebt ihm, und grazie und formschönheit finde ich in jedem stadium.

ich lerne verstehen. fast bis zum letzten wird mir verständnis zuteil – fast…

EIN FEDERHALTER AN EINEM BERG…

FEDERHALTER-BERG

LIU LIYUN
FEDERHALTER-BERG
fuldaufer

erstmal ist der federhalterberg sehr fotogen. er macht was daher und beeindruckt. er glitzert in der späten nachmittagssonne, blinzelt mir zu. ohne erklärung sagt er mir nichts, jedenfalls nicht das, was er soll. er lädt zum draufklettern ein. ein kleiner junge versucht es.
seit der windmühlenartigen gestalt am weinberg ein flügel weggeblasen wurde, steht auf den hinweisschildern aller kunstwerke, dass man sie nicht betreten darf. teilweise sind sie umrundet von weissroten bändern, damit man sich ihnen nicht nähern kann. leider hat das nun baustellencharakter und die freiheit der kunst ist dahin. es ist für mich nichtssagende kunst, der der ausdruck und die deutlichkeit eines AI WEIWEI fehlt.
warum eine chinesische künstlerin sich auf den herkules bezieht, ist mir nicht ganz klar. herkules als tatmensch imponiert mir ebensowenig wie als kluger strateke und moralist.

die 2005 als beste junge künstlerin auf der international beijing biennale ausgezeichnete LIU Lijun arbeitet heute als freischaffende künstlerin in peking und ist als professorin an der fine arts academy of minzu tätig. für ihre plastiken und installationen wandelt sie alltägliche objekte um und bringt sie in einen künstlerischen kontext. in ihrem künstlerischen schaffen nehmen ihre seiden-installationen, inspiriert von traditioneller chinesischer landschaftsmalerei, eine zentrale stellung ein. dafür kreiert LIU dreidimensionale traumartige landschaften, die oft aus technologischen objekten wie computern bestehen.

das in kassel ausgestellte werk „federhalter-berg“ zeigt eine überdimensionierte schreibfeder, die in pop-art-optik auf einem aus stahl konstruierten berg liegt.
die plastik steht im dialog mit claes oldenburgs spitzhacke, die 1982 zur documenta 7 entstand. die spitzhacke soll die bewohner kassels an die geschichte der stadt – zerstörung und wiederaufbau – erinnern und eine verbindung herstellen zwischen dem herkules-denkmal und der stadt, wischen vergangenheit und gegenwart. die spitzhacke ist so positioniert, als habe herkules sie von seinem standort auf der wilhelmshöhe an das ufer der fulda geschleudert.
LIUs „federhalter-berg“ schliesst sich an die herkules-thematik an: tat und geist – spitzhacke und feder – ergänzen sich wechselseitig. LIU stellt herkules nicht nur als tatmensch dar, sondern auch als klugen strategen und moralisten.

liu liyun,* 1974 innere mongolei
central academy of arts, peking
institute of art and design, kent

LICHTE MOMENTE…

NEUES FOTOBUCH NEUES FOTOBUCH NEUES NEUES NEUES

LICHTE MOMENTE…

es ist keine leichte sache, der vergänglichkeit auf der spur zu sein. es ist die vorstufe zum abschied,
ehe die morbide stimmung sich ausbreitet und die farben ins matte fallen.
die bilder helfen mir, dass nichts ins vergessen fällt. rosadora

das letzte und das erste foto (cover vorn und hinten)
das ich von pierre huyghes werk in der kompostierungsanlage der karlsaue gemacht habe

es war mir ein anliegen
mich den pflanzen und ihren befindlichkeiten mehr und mehr zu nähern und damit anzunähern
das war mir wichtig für mein begreifen und verstehen
damit sich der kreislauf auch in meinen LICHTEN MOMENTEN schliesst
begleite ich das kompostloch noch bis zum april nächsten jahres
dann rundet sich das jahr und meine fotoarbeit

WHITE WALL
premium hardcover
A4 quer (57,85 euro)

GEGEN DIE TODESSTRAFE…

heute ist 10. welttag gegen die todesstrafe
obs was nützt

vielleicht hat der GALGEN von sam durant in der karlsaue einige menschen nachdenklich machen können
wo menschen menschen töten sind sie aus dem gleis gelaufen
wo menschen sich über andere menschen erheben gehen sie über ihre menschlichen grenzen

heute ist auch der 3. todestag von DIETER SCHWERDTLE
er war ein studienkollege – ein freund
ich habe ihn vermisst auf der documenta 13 als fotograf
und im wirklichen leben

mir scheinen die worte von jenny holzer haben hier einen tieferen sinn
AM ENDE WAR DAS WORT
hoffe ich

TRUISMS
jenny holzer
documenta 7 1982
sie hat 1977 zu einer documenta einen text
an einer hausfassade angebracht
der nun schon lange verschwunden ist

absichten zu verheimlichen ist gemein
am besten macht man seine eigene sache
ängstlichkeit ist lächerlich
aus langer weile macht man verrückte sachen
die ältesten ängste sind die schlimmsten
die tiefgreifendsten dinge kann man nicht ausdrücken
du hast immer die freiheit der wahl
dumme menschen sollten sich nicht fortpflanzen
ein starkes pflichtgefühl ist wie ein gefängnis
es beruhigt angst zu kategorisieren
es ist das los der menschheit, sich selbst auszutricksen
folter ist barbarisch
für die liebe zu sterben ist schön aber dumm
geld entwickelt geschmack
gib alles in der liebe und lass dem schicksal seinen lauf
glücklichsein ist wichtiger als alles andere
handeln schadet mehr als denken
heutzutage gibt es zu wenig wahrheiten
humor befreit
in deinen träumen bist du unschuldig
irgendwann ersetzt man reale durch konventionelle ziele
die arbeit eines jeden ist gleich wichtig
kinder sind die grausamsten von allen
kinder sind die hoffnung der zukunft
lieber naiv sein als ausgebrannt
mangel an ausstrahlung kann verhängnisvoll sein
missbrauch an macht sollte keinen überraschen
mythen machen die realität verständlicher
oft sollte man sich geschlechtslos geben
revolution beginnt mit veränderungen im individuum
romantische liebe wurde erfunden um frauen zu manipulieren
schreckliche bestrafung erwartet wirklich böse menschen
selbstlosigkeit ist die höchste errungenschaft
sogar die eigene familie kann einen verraten
sterben sollte so einfach sein wie kuchenbacken
töten ist unvermeidbar aber kein grund zum stolz
väter sind oft zu gewalttätig
wer verrückt wird ist eben zu empfindlich
wirkliche freiheit ist furchterregend
zorn auszudrücken ist wichtig
zu viel zu essen ist kriminell