GESCHICHTEN AUS DEM KOMPOSTLOCH I…


ausdrucksvolle ergebenheit


doch ja – ich kenne dich


begrüssung mit küsschen


vertrauensvoll aus der hand

ABBRUCHARBEITEN (ZUSAMMENBRUCH UND WIEDERAUFBAU) MARLON MIDDEKE

marlon schreibt mir
er baut die hütte ab
ich also hin
wiedersehensfreude – grosse
human die weisse podenco-hündin
erstmal scheu

marlon schraubt
und schraubt und schraubt
dann klopfen und treten
biegen und brechen
ich halte die wände
sammle die schrauben

human schaut skeptisch
ist ängstlich weicht zurück
erkundet den neuen alten ort
beschnuppert dieses und jenes
ist sehr nervös und gribbelig
läuft mit rosa übern acker

nach fast zwei stunden
sie hat gesch… und gefressen
hat geschaut ist gelaufen
legt sie sich auf einen hügel
so als hätte sie
ihn endlich wiedererkannt

die hütte ist kurz und klein
erst war sie auch nicht gross
die teile am boden
wehmut aus erinnertem
gern hätte ich mit marlon
hier eine ausstellung initiiert

die mhk erlaubt es nicht
spielverderber
wir suchen einen anderen ort
neu
immer alles neu
unverzagt

VERINNERLICHTES ZEUGNIS…

STOLPERSTEINE GUNTER DEMNIG

…Was bleibt, ist verinnerlichtes Zeugnis der Handlungsfähigkeit eines Einzelgängers.

http://www.gunterdemnig.de/

als wir uns das erstemal im atelier harry kramer begegneten hielt ich ihn für einen ziemlich verrückten hund
mit seinem ara auf der schulter war er in der kunstakademie ein auffallend ungewohnter anblick
ich war altstudentin und betrachtete mir harrys pinkelbilder und fragte mich zu der zeit was kunst alles kann und darf – pinkelbilder…
nun sass er an pünktchenbildern und pinselte akribisch ein pünktchen nach dem anderen auf seine leinwand
gunter demnig war sein assistent

gunter hatte zu der zeit schon seine erste duftmarke von kassel nach paris gelegt
die blutspur nach london war in vorbereitung
ich war kunstbanausin und mir erschloss sich der sinn seinerzeit noch nicht

bei dem gestrigen vortrag in der kunstakademie in kassel erzählte gunter demnig von seinem werdegang in allen einzelheiten und wie er zu den stolpersteinen gekommen ist
mich freut es und ihn ehrt es dass aus dem verrückten knabe ein so ernsthafter künstler geworden ist mit einem so grossen anliegen
die wege müssen gegangen werden sie sind nicht vorgezeichnet
die stolpersteine legen nun schon einen weiten weg zurück
die spur geht durch alle länder die mit dem schrecklichen verbrechen der nazis in verbindung zu bringen sind
ende mai wird der viertausendste stolperstein verlegt werden
die steine stellen mir eine kraftvolle verbindung zu den siebentausend steinen (und bäumen) von
joseph beuys her
sie waren auch steine des anstosses und sind es bis heute geblieben

oft höre ich gegenstimmen und es schmerzt mich am meisten wenn sie aus meinem bekanntenkreis laut werden

da ist eine geschichte von gunter demnig eine so kostbare dass sie alles überwiegt und voll überzeugt
ein knabe sagte zu ihm „man stolpert ja nicht mit den füssen
es ist der kopf der stolpert und das herz“
es sind kinder und jugendliche die sich besonders für die grausame geschichte interessieren
je jünger sie sind desto unverstellter ist ihnen ihr blick ihr herz und ihr verstand

gunter erzählte so lebendig und faszinierend
ich habe ihm gerne zugehört und die anderen zuhörerinnen und zuhörer – der hörsaal war gerappelt voll – ebenso
es waren die vielen geschichten die er während seiner arbeit erlebt hat und die ihn und uns bewegten die das vorgetragene so spannend machte
insgesamt ist die stolpersteingeschichte eine spannende und wird noch viele denkanstösse geben
insgesamt ist das leben des gunter demnig eine so spannende kunst- und lebensgeschichte
betrachte ich den umfang und den inhalt des werkes würde es für mehrere leben ausreichen
demnig macht nicht kunst – er ist kunst

H A N D E L N D E R F A H R E N . . .

1980
DUFTMARKEN DEMNIG 80
KUNSTAKADEMIE KASSEL – CENTRE BEAUBOURG PARIS

…. Nach dem Eifelturm wird jedes Denkmal zum Knicker. Die Monumente künstlerischen Selbstverständnisses sind aus der Vertikalen in die Horizontale gekippt. Das ist kein Akt der Bescheidenheit. Misstrauisch gegenüber Setzungen aller Art, bemühen sich diese Künstler nicht um Wahrheit, die statisch verstanden wird, sondern um Redlichkeit, die als Prozess handelnd erfahren wird. Diese Kunst kümmert sich zunächst um die Rezeption des eigenen Tuns. Sie stellt Fragen, ohne polierte Antworten mitzuliefern, zieht ein Netz über die Landkarten, um im Selbstversuch zu testen, ob es tragfähig ist. (Harry Kramer 1980)

1981
BLUTSPUR DEMNIG 81
KUNSTAKADEMIE KASSEL – TATE GALLERY LONDON

…Demnig erledigt diesen Konflikt für sich, indem er Fillious Forderung: ‚From madness to no-madness’ annimmt und sich zu Fuss auf den Weg macht. Der Verzicht auf das noch rational begründbare Objekt zugunsten eines Zustandes bedarf keines Ziels. Die angelaufenen Museen, die Schnitt-und Endpunkte sind negative Zitate. Er streift den Ort, macht ihn für einen begrenzten Zeitraum zum Schauplatz und geht weiter. Die hinterlassenen Spuren sind Marginalien; sie bleiben oder verschwinden – wichtig ist das nicht…(Harry Kramer 1982)
 
KREIDEKREIS DEMNIG 83
…In dieser, durch die Atom-Nachrüstungsdebatte geprägten Zeit entstand auch sein KREIDEKREIS, den er in einem Radius von 4o Kilometern um Wuppertal legte. Mit der Kreidespur macht er das Gebiet sichtbar ,  das von einer einzigen Atombombe hätte zerstört werden können. 

STOLPERSTEINE 1994 DEMNIG
DEUTSCHLAND EUROPA UND DARÜBER HINAUS

ein projekt, das die erinnerung an die vertreibung und vernichtung der juden, der zigeuner, der politisch verfolgten, der homosexuellen, der zeugen jehovas und der euthanasieopfer im nationalsozialismus lebendig hält.

ERINNERN AN ERMORDETE JÜDISCHE MITBÜRGER/INNEN…

„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, sagt Gunter Demnig.
der künstler erinnert an die opfer der ns-zeit, indem er vor ihrem letzten selbstgewählten wohnort gedenktafeln aus messing ins trottoir einlässt.
bis ende mai werden 4000 STOLPERSTEINE in über 500 orten deutschlands und in mehreren ländern europas gelegt sein
mit den steinen vor den häusern soll die erinnerung an die menschen lebendig bleiben, die einst dort wohnten
und in konzentrationslagern ermordet wurden.
auf den steinen steht geschrieben: z. b.
HIER WOHNTE…
ROSA ROSENGARTEN GEB.1875 ERMORDET 1943 AUSCHWITZ

Ein Stein.
Ein Name.
Ein Mensch.

Für 120 Euro kann jeder eine Patenschaft für die Herstellung und Verlegung eines STOLPERSTEINS übernehmen.

MÜLLERGASSE 2

ALLES BEGINNEN…

ganz zaghaft beginnt es
mit dem ende fängt das neue an
es entfaltet sich fast unmerklich und dann ist es einfach da
wie hier das springkraut
das im vergangenen jahr so riesig empor wuchs
und im blühen sich verduftete
und dann lustig seine samen in die gegend versprang
und nun ist es wieder da
ich bin neugierig ob es wachsen darf
und noch einmal ein wenig documenta-flair
hier in das kompostloch zaubert

sonst ist nichts mehr so wie es war
die wege und anhäufungen sind plattgewalzt
ein dicker querliegender baum wurde zersägt
ein anderer musste ebenfalls weichen
die zeugen für zusammengebrochene kultur gibt es nicht mehr
und die begegnungen sind vergangenheit
schade

ZARTES GRÜN…

ZARTES GRÜN WIMMERT

heut ist es geschehen
der sonne wärme verführt
zartes grün wimmert

rosadora

ich habe ab und an schon mal auf dieser bank gesessen
dieses „zarte grün“ nicht wahrgenommen
wenn dann nur den anstrich der bank

an einer anderen bank fand ich ein ganzes haiku
scheint wohl ein beitrag zum weltkulturerbe zu sein
schön solche überraschungen

KUNST REIHENWEISE…

ganz ohne kunst muss man hier im kompostloch auch 5 monate nach der dOCUMENTA 13 nicht auskommen. schön in reihen geordnet setzt hier der künstler oder die künstlerin dem chaos eine gewisse ordnung entgegen. nicht geschnitten, sondern gebrochen sind die
hölzchen, die sich nur dem springkraut zuordnen lassen und mit der pinkenen farbe nicht zu verkennen, dass es sich hier um ein übnerbleibsel aus pierre huyghes „untilled“ handelt.
es hat mich erfreut, meine fotobegeisterung gesteigert und ich vermute, dass das kleine höhlenbauwerk gleich nach beendigung der d13 vielleicht vom selben künstler stammen könnte.
soviel geduld und fantasie muss belohnt werden.
ich widme diese fotos und den artikel dem unbekannten künstler oder künstlerin….

IM KOMPOSTPARADIES…

KOMPOSTLOCH
PIERRE HUYGHE

nachgeschaut
nachgeschaut wie sich die veränderungen in meinem kompostloch unter dem schnee zeigen.
ich muss aufpassen, dass ich nicht im darunterlauernden matsch versinke. ich folge den tierspuren, hunde zumeist, aber auch hasen und vögel, die haben ein sicheres gespür für riskante wege.
der schnee stellt mir hier einen besonderen reiz dar. es schaut aus, als lege er schützend und beruhigend die hand über die schlafende natur. die sonne, die sich nach langem schmuddelwetter mal wieder zeigt, entlockt mir ein lächeln – und ja, so ist es gut. die temperaturen steigen fühlbar, es taut mächtig, und ich schwitze bei meinen herumkrabbeleien – auch ein zeichen von: frühling wird es nun bald.
ich kann nicht fotografieren, wie ich möchte. es ist rutschig und die gefahr zu fallen lauert, und vor allem in den matsch zu gleiten. ich liebe mein matschparadies und beobachte seine zuckungen mit grösstem interesse.

marlon, kunstgärtner und betreuer des kunstwerkes während der d13 sagt, da wirst du immer wieder hingehen. er sagt es so, als sei ich süchtig, als würde die symbiose, die ich mit dem erdloch eingegangen bin, nicht wieder irgendwann enden können.
er schlägt vor, dass ich es das ganze kommende jahr noch fotografieren müsste, damit man den unterschied sehen kann zwischen dem gestalteten werk und dem sich selbst überlassenen kompost. es ist ein guter vorschlag. ich glaube, ich werde ihn verfolgen..

marlon ist mit senior bei mir in meinem hundehaushalt. das allein ist schon spannend. senior ist einer der hunde, die zu pierre huyghes kunstwerk dazu gehörten.

und feodora, kunstgärtnerin und mehr betreuerin des „untilled“ schreibt mir aus new york und paris und von dort, wo sie sich gerade in ihren kunststudien aufhält.

andré, auch einer der kunstgärtner und betreuer während der d13 ist schweigsam. er paukt für sein abbbi, was auch sinnvoll ist.

so sind die verbindungen. verbindungen sind wichtig, damit das erarbeitete nicht einfach weg ist, ein teil von mir bleibt.