EIN NICHTS…

im kompostloch der karlsaue
gesehen und schier erstarrt vor ergriffenheit
magische momente

manchmal werde ich
in die höhere wachsamkeit hineingeschockt
ich biege um eine ecke
sehe den himmel
und mein herz läuft über vor glück
es fühlt sich so frei
dann habe ich die vorstellung
dass ich nicht nur erschaue
sondern auch von drüben erschaut werden kann
und dass ich kein gesondertes objekt bin
sondern einverleibt in das übrige
in den allumfassenden saphir
von rötlichem blau

im zentrum der beschauer/in
muss raum für das ganze sein
und dieser nichts-raum
ist nicht ein leeres nichts
sondern ein nichts
das für alles reserviert ist

leicht abgewandelt
aus
saul bellow
humboldts vermächtnis

DIE NEUE WELLE…

KARLSAUE
nach der documenta

hauptsache es ´wellt´ sich in kassel weiter
kreative betrachtensweisen sind wieder möglich

als fabeltier macht es sich sehr gut
und was war es denn nun – oder wird es erst…
auf jeden fall sieht es sehr geheimnisvoll aus
auf der nun menschenleeren wiese
die fantasiegänge sind etwas verstopft
von den überreichen angeboten der d13

na hauptsache es wellt sich weiterhin

DIE SCHAU IST ZUENDE…

dOCUMENTA 13
fridericianum

»Der Tanz war sehr frenetisch, rege, rasselnd, klingend, rollend, verdreht und dauerte eine lange Zeit«

der abschlusstanz auf dem dach des fridericianums war alles andere als das.
niemand hat etwas verstanden, schrill klang das gesagte über die menschen hinweg. so unverstanden klang es wie eine publikumsbeschimpfung – als würden die besucher der dOKUMENTA 13 verhöhnt und ausgelacht. selbst schuld, wer auf die ´schau´ reinfiel und wer dachte, es sei kunst…

schade, dass für die geduldig ausharrenden und wehmütig auf ein gelungenes ende wartenden der höhepunkt ausblieb. ein fest – eine féte in den windräumen z. b. doch das fest auf gleis 1 blieb für die mitarbeiter der d13 – für die öffentlichkeit geschlossen.

ganz kassel hätte einen grund gehabt zu feiern. aber mit eigeninitiative ist nichts, und so wird kassel wieder in seinen dornröschenschlaf zurückversinken bis zur nächsten documenta. schade.

ENDLOS – UNAUFHÖRLICH XII

PIERRE HUYGHE
untilled

SYMBIOSE

in der biologie bezeichnet die symbiose das zusammenleben von organismen verschiedener arten, das vielfach für einen oder mehrere partner vorteile bietet.

hier ist die springpflanze mit einer zaunwinde eine verbindung eingegangen. die winde will ins licht und klettert den stil entlang, die springpflanze wird von ihr vor austrocknung geschützt und kann so noch eine weile aufrecht stehen. sie bauen sich gegenseitige brücken – hier nur eine halbe – aber immerhin. es sieht schön aus, entlockt mir ein staunen – immerhin…

ein beispiel für fortpflanzungssymbiose ist die symbiose zwischen bienen und blütenpflanzen. die biene nimmt den nektar der blüten als nahrung auf, dabei bleiben die pollen der blüte an ihr hängen, welche die biene dann weiter trägt und damit eine andere blüte bestäubt, so dass diese sich vermehren kann.
die springpflanzen haben sich viel zu früh davongemacht. wie weit die bienen nun fliegen müssen, um an ihren nektar zu kommen. sie finden über viele kilometer ihre futterplätze. das finde ich sehr erstauntlich für diese kleinen, wohl sehr schlauen wesen.

der knöterich ist nicht wählerisch. er klettert an allem hoch, was sich ihm in den weg stellt. hier mit den anderen pflanzen sieht er zauberhaft aus – und so gegen das licht…

symbiose zum schutz vor feinden: ein beispiel für diese symbiose ist die beziehung von ameisen zu blattläusen. die ameisen geben den blattläusen schutz vor feinden, im gegenzug lassen sich diese von den ameisen „melken“, sie sondern eine zuckerlösung ab, welche die ameisen zu sich nehmen.

ENDLOS – UNAUFHÖRLICH XI…

ÜBER DIE UMKEHR VON ZEIT UND RAUM
pierre huyghe

ständehaus
14. september 2012 19 uhr

Nach Ansicht des Künstlers Pierre Huyghe bleiben Dinge nicht in einem vorgegebenen Zustand. In seiner jüngsten künstlerischen Arbeit setzt er sich in erster Linie mit lebendigen Materialien wie Gärten oder Wasserökosystemen auseinander. Sie wachsen, verschwinden, tauchen wieder auf und sind – unabhängig von Zeit und Ort ihrer Präsentation – ständig in Umwandlung begriffen, wodurch sie unsere Beziehung zu Raum, Zeit und Erinnerung herausfordern. In diesem Sinn entwickeln sich auch Ausstellungen wie Zellen, bilden Teile eines größeren Organismus, folgen einer Reihe von Interaktionen und Operationen. In welchem Ausmaß diese Prozesse ein Umkehrbarkeitsprinzip hervorrufen, ist eine der Fragen, die der Künstler erörtern wird.

die präsentation untilled ist nur eine begrenzte zeit für uns zugänglich. die ´ständige umwandlung´ können wir also nicht erfassen, nur aus unseren gemachten erfahrungen hinzudenken. wenn etwas verschwindet, ist es noch nicht aus der welt. es durchläuft eine reihe von kreisläufen und endet nie.

wenn wir menschen in die kreisläufe eingreifen, ist ein natürlicher lauf unterbrochen.
wir machen garn und stoff aus brennesseln, ernten die samen des springkrautes und verwenden sie in unseren speisen. den psychodelischen pflanzen rücken wir sehr nahe, in medizinischer absicht oder zum rausch oder gar todbringenden verabreichungen.
können wir menschen uns in den kreislauf der natur einreihen, dann müssten wir ihr in einer viel sensiblere weise begegnen.

verschiedene kreisläufe verbinden sich miteinander, das verlangt rücksichtnahme im günstigen falle. doch auch in der natur gilt oft das gesetz des stärkeren. dann beginnt ein neuer kreislauf und wir sind mittendrin.

ENDLOS – UNAUFHÖRLICH X…

DAS ENDE SCHON ZU SEHEN…
pierre huyghe
human und senior

karlsaue
262 nr. 83

komm mit
wir wollen mal sehen
wo das ende bleibt

nun komm
mach schon

länger halt ich das hier nicht aus mit den vielen menschen

wo bleibst du denn

hier oben können wir es vielleicht entdecken

schau mal in die andere richtung

kein ende zu sehen

rein garnichts was darauf hindeuten könnte

die strapazieren unsere geduld all zu sehr

komm wir verschwinden erst mal im grünen

ENDLOS – UNAUFHÖRLICH VIII…

A B S C H I E D
pierre huyghe


Jede sprossende Pflanze, die mit Düften sich füllt, trägt im Kelche das ganze Weltgeheimnis verhüllt.

aus: weltgeheimnis
Emanuel Geibel

abschied hat einen geruch

das weiss ich seit heute

im erdloch umduftet er mich

macht mich wehmütig

noch ist es feucht

die erde lüftet aus

ich setze mich auf die steinstapel

ich geniesse die stille

in mir breitet es sich aus

dieses verlassenwerden

der wuchs der pflanzen

er hat mich erfreut

auch glücklich sein lassen

doch nun verabschieden sie sich
frühzeitig

die komposterde hat sie

rasch emporgetrieben

zu schnell

das hat sie keinen widerstand

bilden lassen

gegen regen und wind

die blüten hatten nicht genug zeit

sich ordentlich zu entwickeln

kräftig zu werden

der imker sagt

der honig wird ganz wässrig schmecken

nun liegen sie

breit und platt am boden

die springkräuter

verlieren ihre säfte

werden braun und brüchig

bilden neue morbide muster

er kam zu früh

der niedergang

das macht die wehmut

den schmerz im herzen

das leben war zu kurz

anderswo wachsen die springkräuter

noch bis zu beginn des frostes

es wird sich auflösen

es wird sich verwandeln

der boden ist bereitet

die neuen pflänzchen

strecken schon ihre köpfe heraus

kommen und gehen

leben und sterben

immer wieder schenkt uns

das kommen die freude

das gehen die traurigkeit

vielleicht
weil wir wissen

dass das

auch unser weg ist

irgendwann einmal

ENDLOS – UNAUFHÖRLICH IX…

MORBIDE SCHÖNHEIT
pierre huyghe

fast übersteigt das vergehende das kommende in form und farbe. alle phasen der farbskala durchläuft es, ehe es zu staub zerfällt.
morbide schönheit – so leicht übersehen wir sie, bei den pflanzen wie bei den menschen.
superlative haben die ganze aufmerksamkeit.

erst da, wo wir das ganze sehen, den kreislauf, beginnt das staunen. nur schönheit, nur grösse, nur gewinn hat die aufmerksamkeit nicht lange, das staunen zerfällt in blindheit, in dumpfheit auch.
die stengel der springkräuter zaubern die ganze farbskala und ein jeder in anderer weise. die sonnenstrahlen fallen durch sie hindurch, tauchen die umgebung und mich in schönes licht.

wenn ich auf die trete, die schon am boden liegen und quer über den schleichpfad, geben sie einen ton von sich, nicht schmerzhaft, ehr wie ein klang, ein lied sogar. ich singe es weiter.

die königskerze macht einen wunderbaren bogen und wendet sich über eine andere pflanze. sie scheinen den weg gemeinsam zu gehen. welch tröstliche vorstellung.

auf einem anderen stiel einer springpflanze wirft ein blättchen den umriss eines OM – alles tönt, alles singt.

mein abschiedslied von gestern verstehe ich erst heute, da ich am selben ort stehe. es ist die vorstellung, dass nach ende der dOCUMENTA von eben auf jetzt alles platt gewalzt werden könnte. damit ginge mir der ganze ort verlustig.
ich hoffe, dass es behutsam erfolgt und ich immer wieder hierher kommen kann.

ENDLOS – UNAUFHÖRLICH… VII

PIERRE HUYGHE
untilled

karlsaue
262 nr. 83

DSC_9927

sie hören nicht auf – die gespräche in pierre huyghes kompostierungsanlage. und sie dürfen auch nicht aufhören, da, wo es um die rettung der bienen geht.
die bienen sind die hoffnungsträger in einer gefährdeten gegenwart. ihnen wird die potenz zur veränderung der welt zugemutet. nur hoffnungsfrohes gefasel? das bienensterben sendet apokalyptische signale, die auch literarisch nach einer antwort rufen.

DSC_0171_AUSSCHN.

der mensch hat die bienen kranke gemacht. kann die welt an der biene genesen? sind die irrtümer umkehrbar?
der spanische dichter ANTONIO MACHADO (1875 bis 1939) sagt es in seiner zweiten strophe ´soledades´ (einsamkeiten), in dem er von der heilung ´alter irrtümer´ durch die verwandelnde kraft der bienen spricht, so:

letzte nach als ich schlief
träumte ich – wunderschöne illusion!
dass ich einen bienenstock
im herzen hatte;
und die goldenen bienen
machten aus meinen alten fehlern
weisses wachs und süssen honig.

aus dem fehlen und missglücken könnten also – zumindest im traum, in der phantasie – neues baumaterial und wunderbare nahrung werden, dank der fähigkeit der biene, einen uralten stoff in etwas neues zu verwandeln.

angeregt durch das buch von ralph dutli
DAS LIED VOM HONIG
verlag wallstein

die metapher VERWANDLUNG läuft im kompostloch auf allen ebenen und auf vollen touren. das bild der verwandlung, das die bienen verkörpern, bleibt sehr anspruchsvoll. man muss sich informieren um die kreisläufe zu schliessen. da hilft das buch von ralph dutli sehr und zur genüge.

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nun habe ich auch
einen bienenstock
in meinem herzen
warte auf die verwandlung
in mir um mich

das lied der bienen
löst träume aus
bringt uns zu unserem ursprung
damit wir
neu beginnen können

rosadora

um auf die vielen fragen zu antworten

die bienen werden nachts und bei regen mir dem bienenkasten abgedeckt.
sie werden gefüttert und auch gegen die schädlichen milben behandelt.
nach der d 13 holt der imker sie wieder ab.