UNAUFHÖRLICH V…

PIERRE HUYGHE
untilled

AUE kompostierungsanlage
262 nr. 83

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unweigerlich finde ich mich mal wieder im kompostloch von pierre huyghe.
yuma flitzt gerade quer durch das kunstwerk.

und ehe ich dann ein idyllisches stündchen im schatten geschenkt bekomme mit marlon und den hunden senior und yuma, habe ich noch ein paar interessante gespräche.

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unter den bäumen mit marlon, mit den hunden, das ist schon was besonderes. philosophieren über die art zu schauen und wahrzunehmen, über leben und die unsterblichkeit, über die ästhetik der pflanzen, die genau das tun, was sie wollen oder sollen,
zwischen alt und jung, zwei generationen unterschied, das ist spannend. die grundlegenden dinge stimmen fast überein.

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die hunde haben vertrauen, lagern sich in unsere nähe, senior büchst ab und zu mal aus, kommt aber immer wieder zurück. eine frau sagt, er holt sich seine streicheleinheiten. yuma hält davon nichts. er ist vollkommen er selbst.
die menschen mögen die hunde. sie sind die attraktion hier in pierre huyghes komposition. jede/r will ein foto von ihnen machen, und wie oft müssen sie das bein neu anmalen. andere schimpfen darüber.
yuma und senior sind froh über diese schattenpause. es ist heiss. die sonne brennt in diesem loch besonders. sie scheinen aber auch froh zu sein, dass die pause vorüber ist. sie liegen auf einem splithaufen. ich sage split, ich weiss nicht genau, was das für zeugs ist. ich werde demnächst nachfragen.

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da liegen sie, nun wieder in der sonne. lang ausgestreckt und sich räkelnd. juma bellt hin und wieder einen menschen an, der ihr suspekt vorkommt, schwarz angezogen, auch zu gross. vielleicht hat er als strassenhund, der er einmal war, da schlechte erfahrungen gemacht.

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die vielen menschen sind schon nervig und undiszipliniert. irgendwie scheinen die hunde genug zu haben.
ich komme immer wieder hierher, weil ich sie treffen möchte. doch in erster linie verfolge ich den werdegang der vielen pflanzen.
die springpflanzen haben hier nicht unbedingt einen idealen platz. im lockeren erdreich finden sie nicht genug halt. sie sind nicht widerstandfähig gegen unwetter. sie sind umgeknickt. auch geht das blühen ausgesprochen vorzeitig zuende. an wald und flussrändern blüht das springkraut noch lange bis in den herbst hinein. sie konnten sich ihren platz nicht selbst aussuchen.

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marlon findet, dass es zwischen pflanzen und menschen viele ähnlichkeiten gibt. er hat festgestellt, dass eine springpflanze, die alleine steht und genügend platz hat, seine triebe ausbreitet und fest steht wie ein baum. die anderen, die gedrängt stehen und sich anlehnen, haben keinen widerstand und knicken ein bei jedem windchen. das ist bei den menschen ebenso.
viele vergleiche gibt es. die verknüpfungen herzustellen und daraus zu lernen, ist das wesentliche. marlon hat das erkannt. ich freue mich darüber.
und ich freue mich auf meinen nächsten besuch im kompostloch und hoffe, dass nach der d13 nicht alles sofort nicht mehr sein wird.

BRENNESSELLOB…

UNAUFHÖRLICH IV

etwas gewinnt für mich bedeutung, wenn ich seinen werdegang verfolgen kann. die brennessel begleitet mich von meiner kindheit an. wir haben sie gesammelt und kleingehackt an die ginselchen verfüttert. dass wir sie gegessen hätten, daran erinnere ich mich nicht.

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in den letzten wochen konnte ich sie in pierre huyghes kompostanlage, die er zum kunstwerk hat werden lassen, ausgiebig beobachten. erst gingen sie mir bis ans knie, dann bis an die hüfte und über die schulter und nun über meinen kopf hinaus. schnell sind sie gewachsen und haben sich mir in ihrer veränderung intensiv eingeprägt.
die pflanzen hier im loch haben alle eine art auf den geist von mensch oder tier zu wirken. welche das bei der brennessel sein könnte habe ich nachgeforscht. die meisten menschen mögen die brennesseln nicht. es ist unkraut und sie bekämpfen es. kneipp fand heraus, dass brennesseln von vielen zipperlein abhilfe schaffen können. ich erwähne sie im anhang…

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immer eindringlicher werden sie mir, die brennesseln, je häufiger ich an diesen ort komme. ich beobachte sie. vielleicht haben sie das gern, ich meine, dass ich ihnen beim wachsen zuschaue und wie sie sich recken und strecken, der sonne entgegen. neulich entdeckte ich, dass sie an ihren blattansätzen ableger hervorbringen, lauter kleine neue pflänzchen. das habe ich vielleicht schon mal gesehen, aber da hat es mich wohl noch nicht so interessiert. jetzt aber, in diesem moment, ruft es einen jubel und ein erstaunen in mir hervor. dem muss ich nachgehen, denke ich.

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dabei fand ich nicht nur die berichte von vielen heilwirkungen heraus, sondern auch, dass aus den brennesselstengeln garn gewonnen wird und sogar stoff. irgendwie will ich den brennesseln meine sympathie entgegen bringen. ich beschloss, mir garn zu kaufen und damit zu stricken. es ist ein sehr hartes garn. es wird nur von hand bearbeitet und gesponnen, also ein sehr kostbares garn.
das war der grund dafür, dass zu zeiten früherer kriege, in denen alle maschinen ausfielen, der stoff der brennessel, der ebenfalls nur von hand hergestellt werden kann, für kleidung von soldaten diente.

da der stoff, dem heilende wirkung nachgewiesen wurde und besonders für kleinkinder geeignet erschien, fand ich, dass er meiner angegriffenen seele und gesundheit ebenso guttun könnte. erstmal noch macht das garn mir wunde finger und ich kann es nur zaghaft verstricken. vielleicht bin ich damit auch erst im nächsten jahr fertig und ich werde meinen diesjährigen pflanzen nicht gegenübertreten können in meinem rauhen brennesselgarnteil. doch im günstigen falle ist ihnen vergönnt, rhizome zu bilden, so dass sie im nächsten jahr an genau der selben stelle emporwachsen können, vorausgesetzt, man räumt diese ganze anlage nach ende der documenta nicht wieder fort.

ENDLOS – UNAUFHÖRLICH III

PIERRE HUYGHE
karlsaue
262 nr. 83

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jetzt steht es fest – die kompostlandschaft von pierre huyghe ist mein lieblingswerk der d13. ich entnehme es diesem, meinem begehren, mich immer wieder dort einzufinden, mir zu begegnen in der stattfindenden verwandlung. es lockt mich, zieht mich an diesen geheimnisvollen und spannenden ort.

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nun blüht es, endlich, das springkraut in seinen schönsten weiss- und rosatönen. mit seinem betörenden duft, orchideenähnlich, umschmeichelt es mich. himmelhoch ist es gewachsen und hat hier einen besonderen standort, mit gutem boden und vor stürmen geschützt. den bienen und hummeln ist es ein unwiderstehliches nektarangebot. die hiesigen pflanzen werden dadurch vernachlässigt.
das indische oder drüsige springkraut gilt als nicht giftig.

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die datura drängt sich leicht dazwischen und tritt in duftkonkurrenz mit dem springkraut. immerhin gebe ich ihm eine möglichkeit, mich zu becircen und an meine vergangenheit und vergänglichkeit zu erinnern, hatte ich doch mal solch einen baum mit 60 – 80 blüten.
die meisten teile der pflanze enthalten toxische halluzinogene.

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hanf cannabis – kann u. a. halluzinogen wirken und fällt in deutschland unter das betäubungsmittelgesetz.

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die verschiedenheit der pflanzen nimmt mit dem sommer zu.
fingerhut und holunder sind verblüht.
eine mir unbekannte rote bohnenart, der feuerbohne nicht unähnlich, schaut aus, als könne sie ein geheimnis bergen. einen herben, bitteren geschmack von unreifen bohnen kenne ich aus meiner kindheit. in rohem zustand sind sie stark giftig.

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die winden haben ein zartrosa krönchen aufgesetzt aus dem kelch, welcher die blüte gehalten hat.

die brennesseln sind über den höchsten stand ihres wachstums hinaus und werden etwas müde. frischer brennesselsaft wirkt (indianer) gegen schwächezustände. die roma empfehlen brennesseltee gegen zu niedrigen blutdruck. auf dem speiseplan gibt es vielerlei verwendung, brennesselkuchen und -pfannkuchen u. u. u.
„Die Brennessel ist die verachtetste unter den Pflanzen. Für den Kenner hat sie in der Tat den größten Wert“.
Sebastian Kneipp.
es gibt nichts, für das die brennessel nicht zu verwenden wäre.

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kugeldisteln und kratzdisteln in weiss bis zartem violett bis lila mischen sich unter die farbvielfalt.
johanniskraut, kamille, kleines springkraut, borretsch, dill und kamille, physalia.

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kletten, gras und schilf, zweizeilige gerste, blutweiderich, kannenpflanze (wohl extra gepflanzt), weidenröschen.
die herkulesstauden wurden entfernt, vielleicht wegen ihrer giftigkeit und ihrer weise, sich stark zu verbreiten und man kriegt sie nicht wieder los.
kornblumen, mohn, nachtkerzen, königskerze. alle haben sie einen hauch von süsse, ein fitzelchen giftanteile. aber richtig eingesetzt auch heilende wirkung.

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blühen und verblühen, das ist nur der eine teil, der mich so begeistert.
zwischen den hier abgelegten kulturbrocken, die wahrgenommen werden sollen als kontrast zu der sie umgebenden natur, versuche ich in meinen bildern verbindungen herzustellen, welche die verknüpfungen deutlich machen – alles ist mit allem verbunden.

ENDLOS UND UNAUFHÖRLICH II

PIERRE HUYGHES
untilled

karlsaue
262 nr. 83

„Lebendige Wesen und leblose Dinge, gemacht und nicht gemacht“,
lautete der Arbeitstitel des Werks, das das Nebeneinander von menschlichen und nicht-menschlichen „Produzenten“, von dem die Chefkuratorin spricht, sehr direkt umsetzt. Als Idylle ist das nicht notwendig zu lesen – spätestens das gefärbte Hundefell erzählt schließlich auch von Übergriff und Machtausübung zwischen den Spezies.

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human, die ich yuma nenne, und senior, der kleine welpe, sind die lichtblicke in der kompostlandschaft. sie werben nicht, sie locken nicht, sie sind einfach da.
yuma ist zu dünn, wie ich finde, aber ein dicker podenco wäre auch nicht das wahre – also, so dazwischen. andré sagt, der tierarzt meint, sie sei gesund.
senor ist bald kein welpe mehr, er wächst und wächst.
an das pinkene bein habe ich mich inzwischen gewöhnt, ein hingucker eben, obwohl ich anfangs auch dachte, das kann man einem tier nicht antun. es kratzt an seiner würde.

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die pflanzen, die teils heilende, teils giftige auswirkungen haben für mensch und tier, gedeihen hier prächtig. kompost ist die allerbeste voraussetzung für wachsen und blühen. und das indische springkraut, das dominierende, wird bald die ganze halde mit ihrem duft umströmen.

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für mich gibt es viel zu tun hier. die pflanzenarten habe ich notiert und fotografiert. die vielzahl überrascht mich. ich turne durch die anlage zwischen den hohen, mich längst überwuchernden gewächsen hindurch. der duft und geruch der heute nassen umgebung betören mich.

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teilweise urwaldähnliche bedingungen. knorrige baumteile grüssen mich, ich sage hallo und freue mich. das ist offensichtlich – eine frau sagt zu mir, sie strahlen aber, sie sehen so glücklich aus. das bin ich auch in den momenten, wo mich natur umgibt und mich reichlich beschenkt mit immer neuen erkenntnissen.

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die gestapelten steine, die erdanhäufungen, die querliegende bank, das alles reizt mich, meinen gestalterischen blick einzusetzen, aus den an- und zuordnungen durch mein schauen ein neues bild entstehen zu lassen.

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auch die wasserpfützen mit entengrütze haben meine aufmerksamkeit. die sonne spiegelt sich in ihnen, bringt licht ins bild.

zwischen all dem kraxle ich herum und ich fühle mich in meine kindheit versetzt, wo wir auf einem dorf evakuiert waren und ich die grosse freiheit meines lebens erlebte – in angrenzenden wiesen und feldern im matsch zu suhlen – da zogen wir vorsichtshalber die schuhe aus, in tiefen bächen beim schwimmenlernen fast ertrunken – niemand gab uns anweisungen od. hilfestellungen.

auch hier gibt niemand anweisungen, wenn frau sich nicht ganz daneben benimmt, wie ich es einmal tat und der bienenfrau zu nahe rückte, um gute fotos zu machen…

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hier 100 tage beobachten zu können, wie aus dem nichts kleine pflanzen und aus den kleinen pflanzen grosse werden und ich denke, dass ich auch das welken und sterben miterleben werde, denn das gelände ist ja nach der d13 noch zugängig, ist spannend.

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die prozesse hier gehen ohne jegliche choreografie. die natur hat ihre eigenen gesetze, ihre eigene ästhetik. das gesetz heisst verwandlung in immer neue daseinformen. eine pflanze vermehrt sich, wird wieder pflanze, bis sie es einmal nicht mehr wird, bis der übergang für uns nicht mehr nachvollziehbar ist und sie aus dem kreislauf doch nicht herausfällt.

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ENDLOS UND UNAUFHÖRLICH…

PIERRE HUYGHE
im kompost der karlsaue

wo soll denn hier die kunst sein.
es regnet, es ist matschig, doch dann sehe ich die bienenfrau.
ein satz durch den dreck und zu ihr hin.
der regen hat die bienen nicht verscheucht.
sie haben keinerlei schutz.
sie scheinen widerspenstig und stark und sich ihres tuns bewusst.

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dass das bienensymbol mit klugheit und der göttliche ordnung der welt in verbindung gebracht wurde, gefällt mir besonders.

auf antiken grabmalen sind bienen das symbol für die unsterbliche seele.
bei den griechen wurde die „Große Mutter“ auch als bienenkönigin bezeichnet.
bei den kelten verkörperten sie geheime weisheiten, weil man dachte, sie hätten kontakt zum jenseits und sie könnten botschaften von der einen in die andere welt tragen.

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in diesem erdloch scheint mir die bienenkönigin als der lebendigste punkt, der mittelpunkt sozusagen. sie ist umgeben von heil- wie auch von giftpflanzen. auch die bienen bringen mit ihrem honig heilsame wirkung und gleichsam den giftigen stachel. die brennessel, hüfthoch, als heilpflanze und gleichsam mit ihrem giftigen brennen hat hier einen prächtigen wuchs.

die bedeutung des sowohlalsauch wird sicht- und spürbar. das lebenhervorbringende, wie auch das lebenvernichtende in einem einzigen kreislauf.
es ist endlos und unaufhörlich.
und nicht vergessen:
am johannistag brennnesselpfannkuchen zu essen, um gegen nixen- und elfenzauber gefeit zu sein.