BRIEF VON KURT…

und meine antwort darauf:

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grüss dich rosadora,
ich bin zwar fast jeden tag irgendwo unterwegs und doch gibt es nicht viel zu erzählen, weil selten etwas ungewöhnliches passiert. deshalb bin ich froh, wenn ich ab und zu auf ein buch stosse, das mich anspricht. idealerweise gibt es darin sätze, bei denen ich stutze.

‚DER GLÜCKLICHE’
heisst die novelle. hansjörg schertenleib hat die novelle geschrieben.

‚wir haben ein bild von uns, das auch die anderen von uns haben sollen. wir wollen gefallen, ankommen.“
das ist ein so eine passage, die mir aufgefallen ist, und mit der ich übereinstimme.

wenn wir richtig hinschauen, sehen wir gar kein bild von uns. es sind viele bilder, ganz schrecklich viele bilder, die wir in einem fassen wollen – was uns nicht gelingt. mit zunehmendem alter und erkenntnis stellen wir fest, dass wir ganz gut fahren mit dem hinweis ‚du sollst dir kein bildnis machen…’. doch wir glotzen und glotzen und wollen alles durchschauen, sogar uns selbst.
vielleicht können wir ganz bildlos nicht herumlaufen, würden wir uns nicht wiedererkennen in diesem und jenem, was uns wichtig scheint. gern möchten wir sagen – ich bin die und die.
gern möchten wir ein ‚farbenprächtiges oelgemälde’ von uns erstellen können.
dass wir ‚gefallen’ wollen – nämlich anderen – das ist ein bild aus kindertagen. immer mehr ist mir das bild, das sich andere von mir machen, unwichtig. es wird so viele bilder geben, wie es fantasien gibt in den köpfen der menschen. ja, lass doch. es lebt sich leichter, nicht gefallen zu wollen.

„wir wissen, dass unser leben aus tausenden und abertausenden von entscheidungen besteht, wir wissen auch, dass es ein anderes leben geworden wäre, wären wir da oder dort in der anderen richtung gegangen.“

bewusste entscheidungen treffen wir doch nicht ganz so oft, oder. die kleinen entscheidungen, wie – ob ich ein marmeladenbrot esse oder mir käse darauf streiche, rechne ich nicht zu den ‚entscheidungen’. auch nicht, ob ich nach galicien fahre oder nach kleinkackedefuja. Das sind m. e. keine echten ‚ent – scheidungen’, die an meinem leben etwas ändern, damit es in eine andere richtung läuft.
es sind doch eher die schleichenden wegänderungen, die wir, entweder im liebestaumel oder sonst abartigen zuständen gehen, ohne es zu bemerken.
selbst wenn ich auswandere nach honkogonkola weiss ich nicht, ob sich – ausser rein äusserlich – etwas ver – ändert in und mit mir.
dass ich meine arbeit verliere – die entscheidung treffe ich nicht selbst. ob es mein leben verändert und damit mich, bewerkstellige ich mit meiner reaktion darauf. das kann so sein oder so. es kann mir zu meinem besten werden, oder zu meinem ärgsten. chance oder nicht-chance – es ist von vielem abhängig.
fast glaube ich, dass das leben für uns entscheidet und wir bei ankunft auf dieser welt schon gepolt sind auf dieses oder jenes. mit unseren talenten können wir ein bisschen drehen, aber nichts grundsätzliches. es sei denn, wir nehmen irgend einen vorwand der wegänderung als etwas entscheidendes an.

„man muss das glück erkennen, wenn es einem begegnet. er hat viele freunde, die ihre zeit damit vertun, auf das wundersame ereignis zu warten, das sie erlöst, das aus ihrem leben, das sie als triste bleistiftskizze wahrnehmen, ein farbenprächtiges oelgemälde macht. freunde, die über diesem warten blind geworden sind für die glücklichen augenblicke. ausserdem muss man das glück aushalten können.“

es gibt es doch gar nicht – ‚das glück’. mit den glücksmomenten stimme ich überein. dabei ist es vielleicht typ- oder temperamentbedingt, ob ich glücksmomente als solche wahrnehme.
es geht den menschen wie seinen freunden in dem buch, warten auf das glück. und ob aus der ‚bleistiftskizze’ ein ‚oelgemälde’ wird, liegt an unseren fähigkeiten, es dahingehend zu verändern. vielleicht hilft schon mit einiger fantasie und einbildungskraft das bild imaginierend so zu verändern, dass es uns gefällt. wahrnehmung ist ein sehr spezifisches gebilde. bleistiftzeichnungen können viel beeindruckender sein als oelgemälde…
sowie du die energie daraufhin lenkst, ‚das glück aushalten’ zu wollen, ist es dir entwischt.
ganz still halten und mit keinem tun und denken überlagern, damit du es geniessen kannst – für eine klitzekleine weile. alles andere ist was ganz anderes. zufriedenheit vielleicht…

„das wissen, dass es vorbeigeht, gehört zum glück. das geheimnis eines glücklichen lebens besteht darin, auf das glück zu pfeifen.“

das wissen um das ‚vorbeigehen’ macht ‚glück’ zu einem festen bestandteil, was es nicht ist. nicht einkalkulierbar – ganz unverhofft ist es.
es gibt auch kein ‚glückliches leben’. das wäre vermessen. das leben besteht aus höhen und tiefen und noch mehr unverständlichem und unfassbarem. wenn eines nicht zum charme des glücks gehört, dann das der dauer. also ist der satz, auf das glück zu pfeifen, ein nicht zu füllender nebensatz.

„gerüche haben keine namen, und wir sind auf vergleiche angewiesen, um sie zu beschreiben, darum vergessen wir sie nicht, darum ist der geruchssinn der beste hüter unserer erinnerung.“
gerüche sind für mich weniger wichtig, und so hat mich diese aussage verblüfft:

gerüche sind die wichtigsten registratoren in mir. komme ich in eine wohnung, die absonderlich riecht, und die meisten haben ja einen enormen eigengeruch, weiss ich, ob ich mit ihrer besitzer/in was am hut habe. ich fliehe aus einem lokal, das abartig und aufdringliche gerüche absondert. da kann ich nicht essen. ich gehe durch die strassen der städte und dörfer und landschaften wie mein kater, schnüffelnderweise. es riecht, es duftet gar, es stinkt erbärmlich und an allem kann ich den istzustand feststellen. es ist frühling oder herbst, es ist gepflegt oder ungepflegt, es duftet nach köstlichem essen oder stinkt abartig nach vergammeltem fisch, es ist frühmorgens oder spätabends.
wenn ich auf der mainau 400 rosen fotografiert habe, kann ich mir anhand der fotos noch zuhause und nach ewigen zeiten den duft der rosen herbeizaubern.
eine katze kann auf 100 kilometer, die sie weggefahren wurde in eine neue wohnung, noch die alte wiederfinden anhand ihrer duftwahrnehmungen.
unsere wahrnehmungen sind durchweg verkümmert. schade eigentlich.

„es gibt eine art wissen, das als blinder passagier in unserem unterbewusstsein mitreist, ohne von uns bemerkt zu werden, denn es ist geübt darin, sich von uns zu verbergen und uns heimlich zu begleiten. ein wissen, das verborgen bleiben muss, weil wir daran zugrunde gingen.“

ich weiss nicht recht, ob wir daran zugrunde gingen. wir können die fülle einfach nicht erfassen mit unserem bewusstsein. in unseren träumen spielt es uns manchmal ein stückchen zu, zerrissen wie ein altes hemd, dessen teile wir dann zusammensetzen könnten – oder auch nicht – in unserem auftrag, aber meistens ungefragt. und wir wundern uns über so viel scheinbar unwirsches. es ist ein grosses teil des puzzles, aus dem wir auch bestehen und weshalb wir uns kein bild von uns machen können.
unser unterbewusstsein ist immer mit im spiel, wenn wir uns erinnern. unsere hirnspeicherkapazität ist nicht so gross, dass sie alles aufbewahren könnte.
auch mit unserem körper ‚erinnern’ wir uns. mein körper tanzt mich in dem falle, wo ein tanz mir gar nicht einfallen will. mir scheint, unser ganzer körper ist an unseren erinnerungen und entscheidungen beteiligt.

ich bin ‚ganz’ – das kann so schnell keine/r mehr sagen. nicht einmal bei schweren erkrankungen sind wir gewillt, auf unseren körper und dessen signale zu hören. ganz zu schweigen davon, dass wir sie nicht zu deuten wissen. es lebe die pharmaindustrie…
sie macht das spiel!!! sagtest du etwas von ‚eigenen entscheidungen’ und dem wirklich seltenen tierchen ‚glück’, lieber kurt????

„das leben, dachte er, schreckt nicht zurück vor wiederholungen. als wolle es uns so lange mit etwas ganz bestimmtem behelligen, bis wir es auch wirklich begriffen haben.“

wir können etwas ‚wiederholen’, aber es sind keine ‚wiederholungen’. wenn wir das feststellen, haben wir die chance, das gleiche anders zu tun, aus einer anderen perspektive zu sehen, mit anderen ausgängen. das fördert das begreifen.
wir neigen dazu, erlebtes, das sich uns als ‚schön’ eingeprägt hat, wiederholen zu wollen, wieder holen zu wollen. aber der fakt, der es uns als schön erleben liess, stellt sich nicht noch einmal ein. unser inneres, das einen grossen anteil daran hatte, es als ‚schön’ zu empfinden, spielt nicht mit. es verändert sich von minute zu minute.
es ist weise, schönes nicht wiederholen zu wollen. es erspart uns die enttäuschungen.

„das leben ist leicht. schwer ist nur die angst davor.“

das leben ist leben.
leicht oder schwer machen wir es uns. die einen nehmen es auf die ‚leichte schulter’ und empfinden es als leicht. die anderen ziehen es in einem sack hinter sich her, dann ist es schwer.
angst kann da und da auftreten. du wunderst dich, dass es dir so leicht ist, weil die anderen sagen, es sei so schwer. und du bekommst panik.
das schwere macht schon eher angst.
aber ob du ein angstvoller mensch bist, oder die angst ignorierst, oder sie gar nicht aufkommen lässt, das liegt zum teil in deiner natur. im anderen teil hat dich dein leben eingestimmt auf freudvoll oder voller angst.

Glück gehabt!!! Wir leben!

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