januar 2000

das erwartete kam ohne zögern
gestern und morgen
verleihen den gleichen
schalen geschmack im munde
wie im letzten jahrhundert

der nebel
jagt die sonne hinter den berg
und macht sich im tal breit
bis er am morgen
wieder von dannen zieht

fast habe ich mich
an die monotonen geräusche
meines pc-rechners gewöhnt
vielleicht verzeihe ich ihm
weil er mir meine gedichte ausspuckt
fein säuberlich gedruckt
und von bestechender
formschöne
den inhalt kann er nicht überprüfen
noch nicht

die briefträgerin
hat ihr jahresbelohnung bekommen
nun verzögert sich die briefzustellung

die falschen hoffnungen
ins neue jahr verschoben
sie werden sich
auch diesmal nicht erfüllen
der museale liebesakt
wird schwächer
von jahr zu jahr
jahrtausend sogar

der grünfink ist zutraulicher geworden
er holt sich sein futter
nun, da der schnee wegschmilzt

kein friedensangebot zum neuen jahrtausend
der neue rasputin lässt sich nicht erweichen
und setzt auf sieg
wann werden sie wirklich so stark
dass sie keine kriege mehr brauchen

morgen ziehe ich die neue bluse an
und dann gehen wir spazieren
sagte meine grossmutter
und starb

der verstand glaubt nur das
was er sieht
aber er sieht nur sehr beschränkt
daher versetzt der glaube
keine berge
wenn ich die grenze überschreite
komme ich
von einem umgrenzten raum
in den anderen
aus dem engen deutschland
in die noch engere schweiz
die menschen brauchen grenzen
weil sie angst haben
vor sich selbst

die geringfügigkeit des denkens
nur von wenigen in anspruch genommen
kann gegen die verfestigung der gedanken
nichts ausrichten
sie haben verlernt
mit dem herzen zu denken
stattdessen versuchen sie
mit dem knie zu atmen
das gelingen ist weniger nachprüfbar

einen weg im nebel gesucht
verhangen die tragfähigkeiten des tages
im dunkeln getappt
am helllichten tag

die ausweglosigkeit des wartens erkannt
und weiter gewartet

in der lotterie gespielt
der gewinn blieb aus
bisher
aber er wird kommen
das ist sicherer
als auf den frieden
der menschheit
zu warten

der zeit gehorchend
so sagt man doch
und nicht herausgehört
was sie von mir will

die vorhandenen mittel strecken
und was tun
wenn keine vorhanden sind

bei virginia woolf eingeladen
ihr platz gemacht für ihre ideen
uns inspirieren lassen
auch das lachen kam nicht zu kurz
ihr tintenfass abgelöst durch den pc

das nachtdunkle
überwältigt die taghelle
unvorstellbar manchmal
dass sich daran etwas ändert

pflastern den weg mit worten
und ihn begehen
damit es der eigene wird

ein lächeln herschenken
in die dunkelheit des tages
damit er zu leuchten beginnt

ich denke afrika
ich denke indien
ich denke hungersnot
und nicht urlaub

die katze läuft durch meinen pc
der hund läuft ihr hinterher

dass der abend kommt ist gewiss
und dennoch überrascht er mich
an jedem tag

wachhalten den verstand
oder wenigstens das
was wir dafür halten

in der wortwanne baden
mich umspülen lassen
mich überspülen lassen
von den schwimmendflexiblen
wortgebilden

mich wenden
mich umwenden und schauen
ob der tag etwas neues gebracht hat
meine füsse unter mich stellen
damit sie mich durch die zeit tragen

die hände strecken
sie ausstrecken
nach den schönsten wortschöpfungen
sie so biegen
dass sie einen klang
einen sinn ergeben

die erforderliche angewärmte luft
zur verfügung stellen
damit der spruchteig
sein volumen entfalten kann

die bedeutung heraushören
aus den reden der politiken
auch wenn es keine gibt

wasser schöpfen
aus den quellen der weisheit
und ergiessen
über weite teile der menschheit

das fallen und aufstehen üben
und nicht müde werden

einer pause platz einräumen
damit das gesagte sich setzen kann

mein begehren zulassen
es stark und laut werden lassen
mein begehren
nach frieden und freiheit

das licht wollen
damit es seine schatten wirft
und ich in ihm stehen kann

im tal den schutz der berge suchen
auf den bergen
die freiheit der gedanken

stehen
aufrecht stehen bleiben
und mich nicht setzen auf jeden stuhl
und schon gar nicht
zwischen die stühle

sagen was ich denke
anstösse geben
denkanstösse
und keine angst haben
anzustossen
ich schlürfe meinen kakao
und nun
liegt er mir schwer im magen

schmutzige wäsche waschen
die eigene
und nur die eigene

im keller den wein gesucht
und ihn im kühlschrank gefunden

der vielschichtigkeit des lebens geglaubt
und mich dennoch
für nichts entscheiden können

meinem pc eine seele gegeben
nun schreibt er für mich
die schönsten gedichte

tiefe gedanken niedergeschrieben
als ich sie aussprechen wollte
fanden sie den weg nicht zu dir

auf den kalten worten ausgerutscht
wie auf der eisbahn vor der tür

herabgeschwungen auf flügelworten
und die landung verpasst

mein wortzimmer betreten
und stein um stein nach sinn gesucht
sie stapelten sich vor mir
zu einer undurchdringliche wortwand
auch zimmer wollen zu ihrer zeit
betreten werden

unter meinem hut mein haar
unter meinem haar mein kopf
unter meinem kopf…
wenn ich das wüsste

was dir zufliegt
fliegt dir auch wieder davon
nur was du selbst geformt hast
kannst du dein eigen nennen
für kurze zeit

klang der sich erhebt
verleiht mir flügel
mit ihm fliege ich hoch und höher
es wird so wenig gesungen

die tür fällt ins schloss
ich erwarte dein kommen
diesmal ist es nur die nachbarin

viele vögel sind in den süden geflogen
aber ich erfreue mich an denen
die hier geblieben sind

meine finger suchen
nach worten auf den pc-tasten
aber sie halten sich
andernorts versteckt

autobahn
unerbittlich fordert der nebel seine opfer
die schienenstränge
bieten auch nicht mehr sicherheit
in diesen tagen

die kasseler musiktage
haben ausgeklungen
ob sie in hamburg oder münchen
besser klingen

egli ist eine fischart im bodensee
ich denke wenn ich sie esse an eklig
es ist eklig
tiere zu essen

beherrschen den freien fall
auf allen vieren ankommen
und neu ansetzen
den sprung über das entsetzen
immer wieder neu üben

neben mir stehen
und mir zuschauen
manchmal erkenne ich mich sogar
spiegel sind unzuverlässig
manchmal zeigen sie mich dick mal dünn
nie zeigen sie
was ich sehen möchte

mit den fischen
auf dem grund gehen
hinabtauchen
einen schimmer bekommen
von dem nicht sichtbaren

durch die welle hindurchtauchen
als seist du ein teil von ihr
zum meer werden

der sonne danken
für jeden neuen tag
und dass sie sich
nicht immer zeigt

nicht auf das kommende warten
es verhindert das jetzt
es einfach kommen lassen

die bäume
sie winken mir zu
meine treuen begleiter
selbst tief eingeschneit
verlieren sie das hoffen nicht

meine erfahrungen teilen mit der zeit
und sie hinschenken
zu zeiterfahrungen werden lassen
durch die zeit erfahren

eine verbindung herstellen
zwischen mir und mir
von der die ich einmal war
zu der die ich sein werde
dazwischen die
die ich bin

die hände pressen
die hände fest zusammenpressen
als könnte ich ihnen
eine wortentscheidung abringen

dem abend entgegenschauen
in seine dunkelheit fallen
und mich fallen lassen
aus dem tag in die nacht

jetzt lesen
lesen
dass die welt nicht mehr ist
was sie einmal war
so sehr
haben wir uns verändert

je härter der winter
desto grösser die frucht
sagt karlwilhelm
und nun taut es schon wieder

angst haben
dass sich die worte einmal erschöpfen
obwohl sie zahllos zur verfügung stehen
finden ist das problem

rosadora