zu: LETZTE DINGE…

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liebe RosaDora
natürlich darfst du meine mail gebrauchen,
es ist ja eine authentische tagesgeschichte,
ein zusammenfinden meiner erlebnisse des tages
mit deinem mir zugesandten mail/blogg

herzlichst rosmarie
Am 2. Feb 2011 um 23:09 schrieb rosmarie schmid:

liebe RosaDora

heute war ich eingeladen zum geburtstagsfest von Ruth,
jahrgang 1933, einseitig gelähmt, anwesend ihre tochter,
ein schauspielerfreund aus ihrer gemeinsamen schulzeit,
ruth war bis zu ihrer erkrankung malerin und lyrikerin,
wir lasen von ihren gedichten, hörten chinesische musik,

auf einmal hatte ruth arge schmerzen in/auf der brust,
müssen wir den arzt rufen? das gesicht erbleichte zu weiss,
langsam ging es ihr besser, „bleib doch noch ein wenig bei uns“,
sprach die tochter, und wir wiederholten den satz wie im chor.

ich brachte auch ein gedicht mit, weil ruth in gesunden tagen
täglich in den wald ging (erste strophe)
und jetzt im pflegehaus vom bett an einen einzigen baum
schauen kann (zweite strophe)

friederieke mayröcker

was brauchst du

was brauchst du? einen baum ein Haus zu
ermessen wie gross wie klein das leben als mensch
wie gross wie klein wenn du aufblickst zur Krone
dich verlierst in grüner üppiger schönheit
wie gross wie klein bedenkst du wie kurz
dein leben vergleichst du es mit dem leben der bäume

du brauchst einen baum du brauchst ein haus
keines für dich allein nur einen winkel ein dach
zu sitzen zu denken zu schlafen zu träumen
zu schreiben zu schweigen zu sehen den freund, die freundin
die gestirne das gras die blume den himmel

dann kam ich nach hause, hatte hunger nach vielem
auch noch nach dem essen, hunger nach was?
ich habe lange gelesen in deinen Texten,
habe lange deine bildwelten angeschaut,
und siehe, meine vielmundigkeit ergab ein ganzes
mit dem namen: LETZTE DINGE

ich danke dir innig
rosmarie

LETZTE DINGE…

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letzte dinge

dieser tage habe ich zu einem büchlein gegriffen, das zwei gespräche von zwei schriftstellerinnen der generation meiner mutter enthält und die ich mit ihr so nicht führen konnte –
ILSE AICHINGER, 1921, und
FRIEDERIKE MAYRÖCKER, 1924.
es sind gespräche über den tod. eingekleidet in zahlreiche assemblagen von daniel spoerri, 1930, und somit der jüngste von den dreien.
dass sich ein roter faden spinnt von einer bekannten, johanna f., 1924, die in ihren jungen jahren in paris kunst studierte und dort daniel spoerri traf und eine liebe mit ihm hatte, hin zu den beiden schriftstellerinnen, wusste ich bisher nicht.
johanna erzählte mir von ihrer liebe zu daniel spoerri, als vor jahren im schloss der insel mainau bei einer ausstellung werke von daniel spoerri zu sehen waren.
nun ist er mir bekannter als die beiden frauen.

in dem büchlein, das es verdient hätte ein buch zu sein, vom format aus betrachtet, ist mir die zartheit der dinge dieses grossen, starken mannes sehr ans herz gegangen und sind ein gegensatz zu seinen sonst eher grossen und massiven objekte.
es scheint auch einen roten faden zu geben zwischen den werken der künstlerinnen und künstlern jener zeit – so denke ich dabei an eva aepplii, 1925. daniel spoerri war auch mit ihr befreundet. bei ihr sah ich im tinguely museum in basel diese „zarten dinge“.
eher läge mir daran, von der zartheit in groben dingen zu reflektieren, als über das büchlein LETZTE DINGE, die sich alles andere als zart erweisen.

ilse aichinger, die sich nach dem tod sehnt, ihn als „zerbrecher und zerstörer“ sieht, hält ihre existenz für völlig unnötig.
…“ich habe es schon als kind als eine absurde zumutung empfunden, dass man plötzlich vorhanden ist. da müsste man zumindest gefragt werden, ob man nicht einfach wegbleiben will. dann wäre ich weggeblieben.“
es wäre interessant zu wissen, wie sich die menschen entscheiden würden, wäre ihnen diese frage gestellt worden.
ilse aichinger rennt bis zu viermal am tag ins kino, „um meine zeit tot zu schlagen, weil es mir schon viel zu lange dauert.“
wenigen dauert es schon viel zu lange, eher wollen sie hundert und noch älter werden aus angst vor dem tod und weil sie nicht wissen, was dann kommt. niemand weiss, was dann kommt, das ist gut und gibt immer von neuem zu spekulationen anlass.

friederike mayröcker bezeichnet den tod als ihren feind und kann ihn überhaupt nicht akzeptieren. mit 80 oder 90 „abtreten“ zu müssen, scheint ihr als grosse beleidigung im vergleich zu tieren, riesenschildkröten z. b. und auch bäume, die über 500 jahre alt werden können.
der tod ist
ekelhaft,
ein eklat,
ein skandalon,
eine frivolität,
eine schmach,
eine verdammung und
eine herabsetzung des menschlichen lebens.
sie hat angst vor dem tod, vor dem zustand des „gestorben-seins“.
mit der sprache kann sie sich gegen den tod sträuben.
„aber nur für die zeit, in der ich schreibe. die angst kommt immer wieder.
es ist eine metamorphose der angst vor dem tod.“
sie will nicht plötzlich sterben, will sich mit dem tod auseinandersetzen können.
200 jahre lebenszeit schweben ihr vor, aber besser noch „müsste man so lange weiterleben können“, bis man sagt, „jetzt habe ich genug. jetzt möchte ich abtreten.“

mich haben die gespräche sehr nachdenklich gestimmt. ich habe mir kein sehr starkes bild von den beiden künstlerinnen gemacht anhand ihrer texte. doch das bild trifft nicht – das bild künstlerin oder frau triften weit auseinander.
mehr als die gespräche haben mich die „kleinen zartheiten“ daniel spoerris berührt.
immer berührt mich ein bild mehr als ein wort…

DIE SCHRULLIGE ALTE…

DIE SCHRULLIGE ALTE
rosadora g. trümper tuschick

niemand, der sie gesehen hatte, würde sie je wieder vergessen können.
ihre augen waren wie blitze.
sie schaute sich um, sie schaute umher, doch vor allem schaute sie den menschen ins gesicht.
trafen sich ihre blicke, knisterte es geheimnisvoll.
leicht irritiert waren sie dann.
sie wendeten ihren kopf und hechelten nach einer wiederholung des geschehenen.
wenn sie sich trauten, die alte anzusprechen, war der bann gebrochen.
dann verspann die alte sie in ein gespräch.
die menschen redeten banales zeug, so wie man das tut, wenn man eine nicht kennt.
doch schnell wendete die alte das gespräch.
und stets waren es dann die gedanken der alten, die sie fesselten und inspirierten.
begeistert waren sie, wenn sie mit blitzenden augen ihre worte dar brachte.
begeistert auch, zwar etwas irritiert, wenn sie sich wie zu leichter musik zu drehen begann.
es war, als wirbele sie sich in ihr altes leben hinein, als hole sie erlebtes für die menschen hervor, um sie daran teilhaben zu lassen.

sie wickelte sich ein in ihre weiten, farbenfrohen kleider und tücher.
sie verwandelte sich mit ihrem riesigen schlapphut ganz in diese alte weise, die man aus mythen und märchen kennt.
sie flocht die menschen mit hinein in ihre geschichten.
ein kleines mädchen mit blonden haaren schlüpfte ihr unter den mantel.
und hinein und hinaus und hinein, wie ein kleines vögelchen flog es, das den geschichten leichtigkeit und lächelnden beifall schenkte.
es hatte das spiel begriffen, während die erwachsenen unsicher blickten, woher denn dieses vögelchen gekommen war.
es war einfach da und so schnell wie es angeflogen kam, war es auch wieder weg.

voller tiefe und einsicht waren die geschichten der alten.
so leicht beschwingt konnten die menschen ihr in ihren gedanken folgen.
sie liebten sie, auch wenn sie hinter vorgehaltener hand fragten, kennst du die schrullige alte mit ihrem schlapphut?

ZUM 93. GEBURTSTAG…

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einmal noch…
mit dir im garten sitzen
unterm sonnenschirm
kaffe trinken und reden
und singen ja singen
bis unsere stimmen quietschen
und ins lachen fallen
dich sagen hören
es ist wie im paradies
als wärest du
angekommen dort
wo du immer sein wolltest

irgendwann
nanntest du mich
mein rosadorchen
und nicht mehr
mein kindchen
da wusste ich
dass du in deiner wahrnehmung
einen grossen sprung
gewagt hattest

schwesterlich verbunden bist du
noch immer
in meinem leben
annaelisabeth

BLEIBEN WIRD…

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Was von mir bleiben wird

Von mir werden bleiben: Vier Söhne.
(Mein menschliches Alibi.)
Und vielleicht bleibt noch eine schöne
Mir ähnliche Fotografie.
Die zeigt mich, wie ich lache.
Mein lachendes Kindergesicht.
Das Gesicht, das ich weinend mache,
Zeige ich nicht.
Dann werden bleiben: Gedichte.
Vielleicht bleiben zwei oder drei
Etwas länger als andre im Lichte.
Dann ist auch das vorbei.
Merkwürdig: das zu wissen
Und doch wieder aufzustehn.
Und weiter leben zu müssen,
Als würde es ewig gehn.

Eva Strittmatter

aus „Wildbirnenbaum“
Aufbau Verlag 2009

EVA STRITTMATTER…

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8. FEBRUAR 1930 – 04. JANUAR 2011

Wie eine Larve werfe ich
Einmal all meine Zweifel ab.
Dann will ich Ruhm.
Und sei es auch spät
und an meinem toten Grab.

ruhm hat sie geerntet und wird ihr auch noch nach ihrem tod zuteil werden.
aber sicher ist ihr im späteren leben wichtiger gewesen, ihren zweifel abzuwerfen, zu leben damit, dass jede auf sich selbst geworfen ist – bis zuletzt – und sie ganz diese person war, die sie selbst herausgeschält hat mit ihrem schreiben.

„Ich mach ein Lied aus Stille“ (1973)
„Mondschnee liegt auf den Wiesen“ (1975)
„Die eine Rose überwältigt alles“ (1977)
„Zwiegespräch“ (1980)
„Heliotrop“ (1983)
„Unterm wechselnden Licht“ (1990)
„Wildbirnenbaum“ (2009)

der einblick in eine menschliche seele kann nie ganz vollzogen werden. doch dass ihre seele tief war und tiefer als die der meisten menschen, davon sprechen ihre gedichte. sie stiess damit hier und da eine tür auf in den seelen der leserinnen und leser, was die millionenauflagen bezeugen.

in ihren ´briefen aus schulzenhof´ liess sie erkennen, dass ihr das leben neben ihrem bekannten mann nicht nur leicht gefallen ist, zeigt, wie eine symbiose, vom publikum bewundert und gelobt, auch risse haben kann.

über ihre gedichte hinaus wird sie mir noch lange anstoss sein, mich ihrem leben zuzuneigen, nicht zuletzt deshalb, weil ich glaube, aus gelebtem leben lernen zu können.

meine hochachtung
rosadora

TROPFEN FÜR TROPFEN…

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ich verstehe nicht gleich
was du sagst
die metaphern
der vergangenheit
haben ihre haken
sie treffen auf bilder
der heiterkeit
der oberflächlichkeit
der unwissenheit
auch des verdrängens

dieses vertrauen ins leben
dieses vertrauen in den tod
bis zuletzt
woher nahmst du
die zuversicht
woher nahmst du
diese unbändige kraft zum leben
in dir wuchs
alles was du brauchtes
alles was du geben konntest

der tod lies aus dir
einen brunnen werden
aus dem die menschen
hoffnungsvoll schöpfen
sie trinken das wasser
deiner inspirationen
sie reichen sie weiter
tropfen für tropfen
und lassen dich weiterleben
so

rosadora
für hilde domin

HILDE DOMIN – 27. JULI 1909…

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wie wenig nütze ich bin
ich hebe den finger
und hinterlasse
nicht den kleinsten strich
in der luft

die zeit verwischt
mein gesicht
sie hat schon begonnen
hinter meinen schritten im staub
wäscht regen die strasse blank

ich war hier
ich gehe vorüber ohne spur
die ulmen am weg winken
mir zu wie ich komme
grün blau goldener gruss
und vergessen mich
ehe ich vorbei bin

ich gehe vorüber –
aber ich lasse vielleicht
den kleinen ton meiner stimme
mein lachen und meine tränen
und auch den gruss
der bäume im abend
auf einem stückchen papier

und im vorbeigehn
ganz absichtslos
zünde ich die ein oder andere
laterne an
in den herzen am wegrand

hilde domin

sie liess einiges zurück – den ton ihrer stimme – ich höre ihn noch.
ihr lachen ging über auf die menschen, denen sie ihre texte las, obwohl es in ihren texten nicht allzuviel zu lachen gab. es waren ihre erregungen, ihr aufgebrachtsein, wenn nicht der richtige stuhl und tisch für sie dastanden – kein sesselchen, kein tischchen zum bequemen sitzen – die den menschen ein schmunzeln ablockten.
die lichter, die sie anzündete, absichtslos, wie sie sagte, brennen noch heute in den herzen der menschen.
und das erinnern, an eine kleine frau, die es sich vorgenommen hatte, der welt zu erzählen, vor allem den jungen menschen, wie es war und dass es nicht gut war wie es war und ihnen ans herz legte, daraus zu lernen und es besser zu machen.
alles im vorbeigehn…

DIE DREI LEBENSALTER…

gustav klimt

JUNGE FRAU
FRAU
WEISE ALTE

DIE DREI LEBENSALTER
kennen wir aus kunst und mythologie.

in der gr. mythologie sind es die DREI NORNEN, die leben schenken, es erhalten und wieder nehmen.

in der indischen mythologie
ist es shiva, der für Neubeginn steht, ebenso wie für Erhaltung und Zerstörung.

in der kunst ist das bekannteste beispiel
die drei lebensalter von gustav klimt.

es liesse sich noch vieles anführen.

wir durchlaufen sie, diese drei stationen.
im gesicht eines menschen wird sichtbar, wie er seine lebenszeit durchlebt hat,
ob er die möglichkeiten zu wachsen, auch innerlich, nutzen konnte.
eine harte, vielleicht nicht frei gewählt arbeit hinterlässt ebenso spuren, wie eine
geistige, die der eigenen seele platz gibt sich zu entfalten.

beim betrachten der bilder vonJESSYE NORMAN fielen mir diese drei phasen besonders auf.
ihre enorme zugewandheit zu ihrem gesang und die tiefe seelenarbeit zeigen sich in ihrer entwicklung. ihr gesicht spricht von all dem. diese seelenarbeit und ausgeprägte menschliche haltung lässt sie, so scheint mir, schöner und schöner werden,
im sinne von ausstrahlung.

als JUNGE FRAU kommt sie mir vor, wie ein ungeschliffener diamant. sicher waren da ihre guten gaben und anlagen schon vorhanden. ihr war bewusst, dass sie die nicht vergeuten
durfte und arbeitete und bemühte sich um vervollkommnung.

als FRAU kommt sie wild und ungebändigt daher. die anstrengung steht ihr im gesicht.

als WEISE ALTE frau ist sie angekommen in ihrem leben. ihr gesicht spricht von erfüllung, ist ausgeglichen und auf eine weise schön, das die menschen bewegt. mit ihrer ausstrahlung gibt sie eine energie, die auf ihr publikum überspringt.