WIE EINE ERINNERUNG…

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jede jahreszeit ist wie ein verschwindend kleiner punkt.
kaum gekommen, ist sie schon wieder entschwunden.
jede alljährlich wiederkehrende erscheinung
ist wie eine erinnerung, wie ein stichwort.
ein jahr besteht aus einer reihe von gefühlen und gedanken,
die ihre sprache in der natur finden.
jetzt bin ich eis,
jetzt bin ich sauerampfer.

henry d. thoreau

TROPFEN FÜR TROPFEN…

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ich verstehe nicht gleich
was du sagst
die metaphern
der vergangenheit
haben ihre haken
sie treffen auf bilder
der heiterkeit
der oberflächlichkeit
der unwissenheit
auch des verdrängens

dieses vertrauen ins leben
dieses vertrauen in den tod
bis zuletzt
woher nahmst du
die zuversicht
woher nahmst du
diese unbändige kraft zum leben
in dir wuchs
alles was du brauchtes
alles was du geben konntest

der tod lies aus dir
einen brunnen werden
aus dem die menschen
hoffnungsvoll schöpfen
sie trinken das wasser
deiner inspirationen
sie reichen sie weiter
tropfen für tropfen
und lassen dich weiterleben
so

rosadora
für hilde domin

TAT-SACHE…

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seit einiger zeit habe ich ein sonderbares talent; ich kann mit dem kopf durch die wand gehen. es ist kein kunststück. nur ein gewisser körperlicher (oder seelischer?) zustand, der sich manchmal einstellt, je nachdem wie ich eingestellt bin. ich kann nichts näheres darüber aussagen. wenn es so weit ist spüre ich, dass ich es tun kann, ja, dass ichs tun muss. es gibt mir ein gefühl der kraft und freiheit. ich zerbreche mir nicht den kopf darüber, warum und wozu ich durch die wand gehen soll. ich gehe einfach, hin und zurück. die tat-sache genügt mir.

rose ausländer
ohne visum
sassafras verlag 1974

N I E M A N D . . .

robert walser
’niemand ist berechtigt, sich mir gegenüber so zu benehmen, als kennte er mich.‘

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‚freundchen, ich kenne dich doch’, bedrohlich und herabwürdigend ausgesprochen, vom vater z. b., und verdächtigt, irgendetwas auszuhecken, von dem er längst weiss, dass es geschehen wird.
ich war naiv und wusste nicht einmal, was er meinte. ich war aber auch trotzig ob solcher anschuldigungen. ich sann nach und überlegte, mit was ich ihn beunruhigen könnte. es müsste ja etwas sein in der nähe dessen, was er mir unterstellte, aus der sicherheit heraus, dass er mich kennte.
ich war von seiner angemassten autorität so eingeschüchtert, das ich mich nichts traute. doch, ihm wasser in seinen motorradtank zu kippen, ihm mal richtig die matte unter den füssen wegzuziehen oder üblere scherze, gingen mir durch den kopf, blieben aber leider nur in meiner fantasie.

HILDE DOMIN – 100. GEBURTSTAG…

27.07.2009

was du heute an ich sparst
und nicht bis zum rande gibst
ist morgen vielleicht
so traurig und unnütz
wie die puppe
nach dem begräbnis des
kinds
nur die klingende
bis zur äussersten
haut des herzens gespannte
stunde besteht

wie sehr sie darum gerungen hat zu bestehen, vor dem leben, ihren lieben, vor sich selbst. ja, vor allem vor sich selbst. es ist anzunehmen, dass sie bestehen wird, vor allen und allem. dass sie vor den menschen bestanden hat, die sie liebte, denen sie ihre gedichte widmete, das ist sicher.

‚wenn ich hundert bin, komme ich wieder’ , so sagte sie nach einer lesung in der kasseler lutherkirche, da war sie 96. resolut, wie sie war, forderte sie einen tisch, mit dem sie etwas anfangen konnte, eben ein arbeitspult und einen passenden stuhl dazu – vor all den leuten. sie hatte dafür die bewunderung aller.

ich höre noch ihre stimme, die mir nicht sehr sympathisch war. zu gehetzt, zu abgehackt – aber so war ihr leben. heute würde ich sie gerne noch einmal hören, wie sie von den ‚langen schatten im sternenlicht’ spricht, zu bedenken gibt, ‚wie geliehen wir sind, wie flüchtig das unsre, das gefühl und wir selbst’. sie gab denkanstösse aus den erfahrungen ihres langen facettenreichen lebens. sie war mutig, ging zu den menschen, den jugendlichen insbesondere. breitet nachdenken aus für eine friedlichere welt.
die welt lag ihr am herzen und die menschen.

in ihrem ‚ratschlag (nicht nur) für abiturienten‘
unter anderem:‚….ich plädiere hier für eine bescheidene, ungeschützte art von emanzipation: ohne rückzugslinien. als einziges credo die menschliche solidarität….’ so war sie, keine sprachklischees benutzend, immer offen, immer ehrlich, immer kämpferisch – bis zuletzt.

sie kann ihr versprechen nicht halten. sie ist einhundert und kann nicht kommen.
sie starb an einem treppensturz. dass sie trotzdem bei uns ist, spricht davon, dass die grenzen zwischen leben und tod fliessend sind.

‚das wunder, das konkrete, kleine wunder, wartet immer um die nächste ecke für den, der es wahnehmen mag.’

TIEFER SEE…

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‚ein see
ist der schönste und ausdruckvollste zug
im gesicht der landschaft.
er ist das auge der erde,
und wenn der betrachter
mit seinem eigenen auge hineinblickt,
lotet er die tiefe seines eigenen inneren aus.’

thoreau

GERTRUDE STEIN…

‚also, wenn wir schreiben, schreiben wir; und die dinge die wir wissen fliessen unseren arm hinunter und werden auf dem papier sichtbar. noch kurz bevor wir sie schreiben, wussten wir eigentlich gar nicht, dass wir sie wissen; wenn sie in unserem kopf als wörter geformt sind, dann ist das ganz falsch und sie werden wie tot herauskommen; aber wenn wir bis zum augenblick des schreibens nicht wussten, dass wir sie wissen, dann kommen sie mit schockartiger überraschung zu uns.‘

diese gewissheit, wenn ich doch nur auf sie vertrauen könnte. oft mache ich die gleichen erfahrungen, dass ‚mich etwas schreibt’, dass wir das, was wir wissen, nicht erst in worte fassen können, ehe wir sie schreiben. der denkprozess wäre ein doppelter, ein bereinigter, sozusagen, nicht echt, nicht fliessend. ich mache die erfahrung, wie die sätze dann stolpern, wie sie um die ecke denken, wie sie sich zieren vielleicht, oder aufspielen, etwas besonderes ausdrücken wollen, ohne dass sie es erreichen.

nun schrieb gertrude stein, eine sehr eigenwillige und wagemutige schreiberin, mit dem stift oder füllhalter. da fliesst es auf eine besondere art und weise und das gefühl des fliessens wird durch die tinte sichtbar. die wörter fliessen vom kopf den arm hinunter durch die hand und den füller aufs papier ohne unterbrechung, es sei denn, die gedanken im kopf sind nicht konzentriert beieinander.

ich schreibe gern in den pc. da kann ich die wörter schneller herauslassen als beim schreiben mit der hand. die gedanken sind ja schnell, schnell wie blitze – blitzgedanken sozusagen. da muss ich schnell hinterher, sonst überlagern sie sich, verwickeln sich miteinander und ich kann sie nicht mehr entwirren. dass sie mit ‚schockartiger überraschung’ zu mir kommen ist höchst selten. aber manchmal wundere ich mich schon, wie sich das angesammelte wortgewitter entlädt. wie ein bunter regenbogen steigen dann die sätze vor mir auf. farbenprächtig, in vielen farben glitzernd, und manchmal leuchtet auch eines zwischendrin – wie ein stern, der das ganze erhellt, der mir den weg weist. dann eile ich ihm hinterher, bis er nicht mehr zu sehen ist und auch mein wortwettern sich beruhigt.
jetzt flunkert die sonne mir was vor und wäre auch fähig, mich zu inspirieren. aber ich kann ja nicht allen gleichzeitig hinterher.

ELFRIEDE JELINEK…

ELFRIEDE JELINEK wird 60 –
ihre österreichische kollegin CHRISTINE NÖSTLINGER wird 70

während elfriede j. häufig gelobt, aber unglaublich vielmal mehr beschimpft und niedergemacht wird, erntet christine n. lob um lob ohne tadel, weil sie ‚den nerv der zeit’ trifft.

‚den nerv der zeit’ triftt elfriede j. ebenso, aber jeweils in einer skrupellos kritischen, unerhört anstrengenden art und weise, dass sich jede/r gleich gemeint fühlt, obwohl kaum jemand etwas recht versteht. Continue reading