BLEIBEN WIRD…

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Was von mir bleiben wird

Von mir werden bleiben: Vier Söhne.
(Mein menschliches Alibi.)
Und vielleicht bleibt noch eine schöne
Mir ähnliche Fotografie.
Die zeigt mich, wie ich lache.
Mein lachendes Kindergesicht.
Das Gesicht, das ich weinend mache,
Zeige ich nicht.
Dann werden bleiben: Gedichte.
Vielleicht bleiben zwei oder drei
Etwas länger als andre im Lichte.
Dann ist auch das vorbei.
Merkwürdig: das zu wissen
Und doch wieder aufzustehn.
Und weiter leben zu müssen,
Als würde es ewig gehn.

Eva Strittmatter

aus „Wildbirnenbaum“
Aufbau Verlag 2009

REIF SO WUNDERSCHÖN…

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seht meine lieben bäume an,
wie sie so herrlich stehn,
auf allen zweigen angetan
mit reif so wunderschön!

von unten an bis oben ´naus
auf allen zweigelein
hängts weiss und zierlich, zart und kraus
und kann nicht schöner sein.

und alle bäume rundumher,
all´alle weit und breit
stehn da, geschmückt mit gleicher ehr´,
in gleicher herrlichkeit.

wie schön, wie schön ist unser wald!
dort nebel überall,
hier eine weisse baumgestalt
im vollen sonnenstrahl.

lichthell, still, edel, rein und frei
und über alles fein!
oh, aller menschen seele sei
so lichthell und so rein!

matthias claudius

ALLERLIEBSTE ELFENSCHLEIER…

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DSC_4454Im Herbst

Der schöne Sommer ging von hinnen,
der Herbst, der reiche, zog ins Land.
Nun weben all die guten Spinnen
so manches feines Festgewand.

Sie weben zu des Tages Feier
mit kunstgeübten Hinterbein
ganz allerliebste Elfenschleier
als Schmuck für Wiese, Flur und Hain.

Ja, tausend Silberfäden geben
dem Winde sie zum leichten Spiel,
die ziehen sanft dahin und schweben
ans unbewusst bestimmte Ziel.

Sie ziehen in das Wunderländchen,
wo Liebe scheu im Anbeginn
und leis verknüpft ein zartes Bändchen
den Schäfer mit der Schäferin.

(Wilhelm Busch)

VON DER SONNE DURCHSTRAHLT…

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wie leben bäume mit dem wechselnden licht des tages –
mit der sonne, die sie durchstrahlt,
mit dem wind, der sie durchstreift,
mit dem regen, der ihr laub glänzend erfrischt
oder mit dem sternenhimmel?
mit den vögeln, die von ihnen zum himmel aufsteigen,
mit vielerlei getier zwischen wurzeln,
stamm und zweigen?
still, festgewurzelt in der erde
und doch ständig wachsend in bewegung,
mit allen elementen in verbindung,
kräfte empfangend aus erde und wasser,
von sonne und mond, winden und lüften,
der kälte wie der wärme ausgesetzt.

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kein anderes lebewesen spiegelt den kreislauf des jahres wie sie:
im steigen ihrer kräfte, im schwellen ihrer knospen,
in ihrem zarten frühlingsgrün und himmlischen blühen,
in ihrem überfluss und flammenden herbstlaub,
ehe sie ihr leben ganz in sich zurückziehen.
und in der grossen winterruhe, die sie überkommt,
bereiten sie den neuen frühling vor.

gerda gollwitzer

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